Samstag, 16. Oktober 2010

Freunde fürs Leben



David Finchers Wandel ist abgeschlossen. Er braucht seinen Nihilismus nicht mehr, lebt von anderen Themen. Männer mit goldenen Kreditkarten wurden gegen nicht integrierte Computernerds ausgetauscht. Aber David Fincher ist nicht weich geworden. Nur, dass er sich weiterentwickelt hat. Man kann das in Fanforenqualität als Kommerzialisierung abkanzeln, weil man nichts besseres weiß. Man kann sich auch "The Social Network" ansehen. Finchers bestes Werk, dass er seit "Fight Club" gedreht hat. "Zodiac" hatte noch die Züge, die man in den 90-ern fincheresk nannte. Der Film über die Entstehung Facebooks muss kein Fincher sein. Man kann darin auch die Virtuosität eines anderen oder den genialen Debütfilm eines Neulings sehen. Umso erfreulicher also, dass trotz dieser Tatsache David Fincher als Regisseur aufgeführt wird. Dass sich der düstere, schwierige Analytiker mit einer solch erstaunlichen Präzision, abweichend von seinen anderen Filmen, an die Geschichte Facebooks herangewagt hat. Und wenn man in der Neudefinition des neben Paul Thomas Anderson und David Lynch sicherlich wichtigsten Regisseurs der Gegenwart doch noch den Hauch von "wahrem Fincher" erkennt, sollte man endgültig seinen Groll über die Wandlung des Lieblingsfilmemachers abgelegt haben.  

Angenommen hat er sich einer plakativ nützlichen, aber nur oberflächlich als Entstehungsgeschichte kolportierten Facebookhistorie. Basierend auf dem Roman "The Accidental Billionaires" von Ben Mezrich inszeniert Fincher das Studentenleben des 21. Jahrhunderts. Es gibt wilde Partys mit Drogen und knappen Outifts, hypnotisierenden Discokugeln und angesagter Electromusik ebenso wie die typische Studentenwohnung, die man zu viert, mit reichlich Bier und gigantischer Internetdominanz gesegnet, bewohnt. Zuckerberg will der ersten, muss aber der zweiten Gruppe angehören. Entweder man hat von vorneherein die Privilegien, in die Clubs gehen zu können, oder man muss sich dieses Recht aneignen. Irgendwie. Und da Zuckerberg kein Idiot ist, weiß er auch, wie er das macht - er benötigt etwas, das mit dem neuen Standard, dem Internet, funktioniert. 





Nach dem Aus seiner Beziehung folgt der Frust, auf diesen wiederum ein ordinärer Hassgesang auf die Ex-Freundin. Nebenbei erstellt Zuckerberg FaceMash: Eine Seite, auf der man jeweils zwei Frauen - an deren Bilder der Student durch für ihn simples Hacken gekommen ist - bewerten kann. An "Freunde" weiter verschickt, entwickelt sich ein Traffic, der das Netz fast zusammenbrechen lässt. Mehrere tausend Besucher weißt FaceMash auf - ob das Ganze jetzt mit dem Unrecht, in dem Zuckerberg dabei agierte, assoziiert wird, stört ihn weniger. Die kleine Berühmtheit hat er erlangt. Dadurch steigt er auf die nächste Stufe: Die Winklevoss-Brüder und ihr Freund Narendra sehen in Zuckerberg den passenden Programmierer für ihre Seite - für ein soziales Netzwerk. Zuckerberg nimmt das Angebot an und beginnt die Arbeit, weicht jedoch den Fragen der drei konsequent aus, bis er "seine" Seite veröffentlicht: the facebook. 

Die Mitgliederanzahl steigt enorm und das einstige Konzept artet aus. Zuckerberg gründet eine Firma, expandiert und bindet nach anfänglicher Unschlüssigkeit ebenso die Werbung mit ein. Inzwischen ist er weit über den Campus hinaus bekannt, zieht um und genießt sein Leben zwischen wilden Partys und anderen Berühmtheiten. Im Hintergrund wächst der Zorn: Man beschuldigt ihn des geistigen Ideendiebstahls und leitet einen Prozess gegen ihn ein. Sein Freund und Mitbegründer Eduardo Saverin entfernt sich zunehmend von Facebook. Der immer gewollte soziale Aufstieg hat begonnen - und mit ihm die Probleme. Denn unweigerlich verbunden mit seiner Emanzipation ist nicht nur die Abtrennung seines einst besten Freundes, sondern auch die für ihn nervigen Gerichtsverhandlungen. Zuckerberg hat sich verändert. Mit lässiger Arroganz nimmt er es hin, wie die für ihn scheinbar lächerlichen Anwälte Beweise vorlegen. Es ist egal, ob er Saverin einen Anteil zusprechen muss, ob die Winklevoss-Brüder eine Entschädigung bekommen: Er hat das, was er schon immer wollte. 




Und somit wird "The Social Network" zur Parabel über unsere Gesellschaft. Mark Zuckerberg ist nicht integriert worden, weil er etwas Interessantes geschaffen hat, sondern weil er jetzt berühmt ist. Weil er der sensationelle Erfinder des sensationellen Facebooks ist und ihn jeder kennenlernen will. Und wenn Facebook in der Kritik steht, verleiht es ihm nur noch mehr Mystik. Er ist kein Nerd, sondern einen Genie. Und er ist "CEO, bitch!". Findet sich selbst in Trendwelten mit Milliardenangeboten für die Übernahme Facebooks wieder. Zeichnen Fincher und Sorkin Zuckerberg grundlegend als gewisses Arschloch, das die Mittel zum Zweck heiligt, so ist es doch ihr großer Verdienst, zu zeigen, wie ihm dieser neue, von ihm lang ersehnte Kosmos suspekt, seltsam und fremd erscheint. In Jesse Eisenbergs oscarreifem Schauspiel entdeckt man nicht nur den Drang, über alles hinwegzusteigen, sondern auch einen Hauch Einsicht. Denn jetzt, ganz oben angekommen, da es nicht mehr viel Neues gibt, sieht er sich möglicherweise zurück.

Und das, was er betrachtet, ist virtuoses Kunstkino, so wie es Fincher schon immer inszeniert hat. Da treffen utopische Züge auf menschliche Abgründe und geschliffene Dialoge auf eindrucksvolle Schauspielerleistungen. "The Social Network" zeugt von intensiver Recherche, besitzt aber auch genügend eigene Kraft, um den Schritt vom informativen zum unterhaltenden Film zu schaffen. Dies gelingt Fincher eben durch die doppelte Verschachtelung: Er benutzt den Plot als Deckblatt, dahinter jedoch finden metaphorische Szenen, die mit dem Besten in Finchers gesamter Zeit in Hollywood mithalten können, en masse statt und beweisen wieder einmal des Regisseurs Genialität. Hierbei sei das brillante Ruderrennen angesprochen: In intensive Bilderfolgen und farblose Kamerafahrten gehüllt ist der verlorene Wettkampf als zweideutiger Fingerzeig zu verstehen, der den Tempoverlust der Winklevoss-Brüder hervorragend in Szene setzt - und dies auf fantastische Art und Weise tut. Des Weiteren erwähnenswert ist selbstverständlich der gigantische Soundtrack des Nine-Inch-Nails-Frontmanns Trent Reznor, der mit seinen tiefen Electroklängen ein passendes Motiv abliefert, in wenigen Szenen sogar zu Höchstform abliefert und es schafft, die Töne so unmittelbar mit den Bildern zu verbinden, dass sie wie ein Ganzes wirken.  




Neben Jesse Eisenberg laufen ebenso die anderen wichtigen Figuren groß auf: Andrew Garfield als abgekanzelter Freund, der langsam bemerkt, was mit ihm geschieht, Justin Timberlake als hyperventillierender Napster-Mitgründer Jean Parker und sogar Disney-Hassfigur Brenda Song als - wie sich später herausstellt - leicht geistesgestörte Freundin Saverins. Ein Cast, der so zielstrebig durch gut zwei Stunden Meisterwerk führt, und dies mit ungeheurer Leichtigkeit tut, dass man das Kino ganz befreit verlassen kann. Bevor man das Handy herausholt und los postet. 


1 Kommentar:

  1. Ich bin mit deiner Besprechung des Films vollkommen einverstanden, möchte dich, was deinen Fincher-Enthusiasmus anbelangt (ich nehme an, selbst der Titel des Eintrags weise dezent darauf hin), lediglich an die vielen Abstürze erinnern, die etwa ein Hitchcock im Verlaufe seiner Karriere in Kauf nehmen musste. - Ich hatte in meinem Lieblingsforum neulich ein paar Filmfragen zu beantworten und nannte als grösste lebende Regisseure u.a. Martin Scorsese, Roman Polanski und Woody Allen. Also Leute, die es bald hinter sich haben und sich nicht mehr gross beweisen müssen. - Ist vielleicht eine Sache des Herangehens (Skeptizismus). - "Fight Club" ist interessanterweise Fincher's Film, mit dem ich am wenigsten anfangen kann, was allerdings mehr mit der darin vorgestellten "Lebenweise" zu tun hat.

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