Dienstag, 16. November 2010

Pandora rises



James Camerons visuelles Spektakel geht in die dritte Runde. Nach dem sensationellen Erfolg an den Kinokassen und der rund ein halbes Jahr später erschienen erweiterten Fassung ist nun die „Extended Collector's Edition“ des inflationsbedingt erfolgreichsten Films aller Zeiten erschienen. Und, aller offensichtlichen Geldgier zum Trotz, muss gesagt werden: „Avatar“ war nie so durchdacht, schlüssig und passend, wie hier. Auf unzählige Extras und drei Fassungen – der endgültige „Extended Collector's Cut“ ist den beiden anderen eindeutig vorzuziehen – darf sich der- oder diejenige freuen, die noch nicht genug hat vom wirklich blauen Planeten. Aber auch jene, die nie eine solche Begeisterung für Camerons neuestes Werk aufbringen konnten, könnten dazukommen, den Film als besser einzustufen. Immerhin hat der oft als Visionär betitelte Regisseur satte 16 Minuten neu hinzugepackt, um das bisher recht unspektakuläre Science-Fiction-Epos auch richtig rund und geschliffen erscheinen zu lassen. Das ist zwar keine Meisterleistung, wie sie Francis Ford Coppola einst mit seinem „Apocalypse Now Redux“ präsentiert hatte, aber doch sehr gelungen, betrachtet man das neu entstandene Werk nun erneut. Der Ausflug zu den Na'vi wirkt jetzt wirklich so, wie es schon im Kino hätte sein sollen – dort, wo es sich Cameron wahrscheinlich nicht getraut hatte, seine Zuschauer mit einem 3-Stunden-Monumentalwerk abzuschrecken. Rundum besser ist er jetzt also, der neue Ausflug nach Pandora – und so hätte er eigentlich auch schon im Kino sein sollen.

Sonst bleibt natürlich aber alles beim Alten: Immer noch befinden wir uns im Jahr 2154, immer noch ist der Mensch auf der Suche nach alternativen Rohstoffvorkommen, da er ja schließlich in seiner heimatlichen Zivilisation das Gegebene schon aufgebraucht hat. Die Wahl fällt auf den Planeten Pandora, der das Gegenstück zu unserer Welt – oder speziell zu Amerika – darstellt: Die Ureinwohner Na'vi leben friedlich im Einklang mit der Natur und sehen in allem, was existiert, ihre Gottheit. Eine an die Ökonomie angepasste Lebensweise also, und deshalb eine, die dem Klischeegeneral gar nicht in den Kram passt – schließlich sitzen die blöden Schlümpfe gerade auf dem größten Vorkommen des extrem wertvollen Stoffs Unobtanium und sind nicht gewillt, freiwillig ihren Wohnort zu ändern und umzuziehen. Was der Mensch in seiner kognitiven Einfältigkeit nicht erreicht, muss dann eben die Technik richten: Per DNS-Vermischung schlüpft Jake Sully, der Zwillingsbruder des gerade verstorbenen und speziell für diesen Job trainierten Thomas Sully, in die Rolle eines Na'vi und versucht nun, Wichtiges über die Lebensweise der Ureinwohner herauszufinden, um so besser mit ihnen kommunizieren zu können, und sie, wenn ersteres gegeben ist, dann friedlich zum Umzug zu bewegen. Sollte dieses Vorhaben jedoch nicht funktionieren, kommt die Gewalt ins Spiel – und der Baum, unter dem sich die gewaltigen Vorräte befinden, wird einfach beiseite geschossen.




Eine Prämisse also, die sich bestens eignet für ein solches Mammutprojekt wie „Avatar“. Auf der einen Seite die Möglichkeit, sich über alles Gegebene hinwegzusetzen und mit Pandora einen vielfältigen Ort zu haben, an den man alle seine Ideen und Einfälle transportieren kann, auf der anderen wiederum, in den Plot geschickt Verweise zum imperialistischen Vorgehen streuen zu können und ebenso Kritik daran äußern zu können. Cameron macht mit diesem vermeintlichen Tiefgang eigentlich an der Oberfläche alles richtig: Visuell ist fast alles möglich und machbar, dazu gibt es ein wenig Indianer-Flair und einfachstes Gut-Böse-Schemata – und schon ist für den an einem kurzweiligen Sehgenuss interessierten Zuschauer der perfekte Kinoabend organisiert. Unter dieser simplen Kapitalismuskritik jedoch verbirgt sich quasi ein manipulativer Apparat, der zielsicher alle Fäden miteinander verwebt und so das erschafft, was man später als humane Ideologie wahrnehmen könnte: Hier ein paar Emotionen, dort ein wenig Sympathiesierung – und schon scheint der Tiefgang geschaffen. Bei einem genaueren Hinsehen erkannt man aber eigentlich sofort, dass Cameron damit nur an der Oberfläche kratzt und die Idee gar nicht richtig ausweitet, sondern sie nur kurz angerissen links liegen lässt. Später, wenn idiotische Actionsequenzen auf sich immer wiederholende Tränendrüsenattacken stoßen, fragt man sich, wo all das geblieben sein soll, was so manchen Kritiker dazu veranlasste, „Avatar“ über den grünen Klee zu loben.

Aber das ist ja noch nicht alles. Schließlich braucht ein Kracher vom Format eines „Avatar“ die gelungene Wendung, die zum dramatischen Showdown hinführt. Und eben jener Schlüsselpunkt ist folgender: Jake Sully (von den Eingeborenen „sulli“ ausgesprochen, als ob sie wüssten, wie man den Namen schreibt, er sagt ja eigentlich „salli“) verliebt sich in die Welt der Na'vi, in die schier unfassbare Schönheit des Urwaldes – und auch in Neytiri. Auch kann er als Avatar körperlich ungehindert agieren und verfügt über eine erstaunliche Physis, was im starken Kontrast zu seiner eingeschränkten Lebensweise als normaler Marine steht. Hier also baut Cameron einen psychologischen Druck ein, den er geschickt mit der Faszination Pandora verbindet – einer der wenigen Aspekte des Films, dem wirklich Tiefgang zugesprochen werden kann. Vor dem Hintergrund eines unmenschlichen Vorhabens baut sich der Widerspruch der zwei Kulturen rund um die Figur des Protagonisten auf und zeigt auf metaphorische Art und Weise, wie sehr der Mensch den Na'vi geistlich hinterher hinkt. Sully entscheidet sich nun jedenfalls für die Ureinwohner und zieht als neuer Schattenreiter mit einem riesigen Vogel in die Schlacht, die sich jetzt am Boden und – sehr viel eindrucksvoller inszeniert – in der Luft abspielt. Es zeigt sich, wer wer ist, wenn es darauf ankommt: Der General ist der erbarmungslose und einfältige Irre, Sully wiederum der mitfühlende und verstehende Sympathisant.




Und wenn es dann endlich zur Schlacht kommen darf, ist Cameron nicht mehr aufzuhalten: Der endgültige, alles entscheidende Kampf zwischen Mensch und Na'vi ist bombastischer nicht zu inszenieren. Auf lautstarkes Gebrüll treffen hervorragend, wenn auch sehr selten etwas ungelenk animierte Szenen des Getümmels und dazu schließlich der gewaltig aus allen Richtungen drönende Score von James Horner. In den Actionsequenzen, so heißt es oft, kann man James Cameron sowieso nichts vormachen – was aber in zwei Bereiche aufgespalten werden kann. Geht es um die Animationen, so ist das selbstverständlich State of the Art, unglaublich detailbverliebt in Szene gesetzt, naht- und reibungslos aneinander gefügt. Betrachtet man jedoch die Choreographie, so stellt sich nach guten zehn, fünfzehn Minuten eine gewisse Langeweile ein. Außer übergroßen sirrenden Pfeilen, gebleckten Zähnen und ewiges Maschinengewehrgesäusel hat „Avatar“ im Actionbereich wenig zu bieten. Verlagert Cameron das Spektakel in die Luft, sieht das aber wiederum schon wieder ganz anders aus. Schließlich kann er dort aus allem schöpfen, was er sich vorher zusammen gebastelt und somit die Vorlage für das später Darauffolgende geliefert hat. Hätte „Avatar“ nicht einen solch beeindruckenden Schauplatz, wäre der Film ziemlich seelenlos – und die Action allerhöchstens Mittelmaß.

Was aber eben nicht der Fall ist. Und so kann man dann auch in aller Ruhe den Hintergrund des Science-Fiction-Feuerwerks betrachten und heraus filtern, was manch ein Kritiker schon meinte, im Film erkannt oder daraus analysiert zu haben. Vom Scheitern des Kapitalismus' ist die Rede, vom grandiosen Sieg des Wissenden über den nicht Wissenden, des Verstehenden über den nicht verstehen Wollenden. Ein momumentaler Abgesang auf den Imperialismus sei das Ganze, wenn hoch technisierte Kampfroboter auf puren Körperkult treffen, kurz: Ein Werk mit erstaunlich viel Tiefgang soll er sein, der Kassenhit Camerons. Es passt also gut ins Bild, einmal Josef Joffe aus der Zeit zu zitieren: „Auch Jake Sully ist ein Kultur-Imperialist, bloß ein guter, ohne den die Blauen verloren wären“, schreibt Joffe, und kommt zu dem Resultat, dass „Avatar“ doch eine „herablassende, ja rassistische Botschaft“ besitze und man die Na'vi doch nur zu von Sully, also vom Mensch abhängigen Hilflosen macht, die sich allein nicht gegen eine Übermacht wehren können. Der Film läuft also quasi teilweise seiner eigenen Botschaft zuwieder und nimmt sich dadurch die Glaubwürdigkeit – etwas, über das viele hinweg sehen können oder es erst gar nicht zu bemerken scheinen. Geblendet vom visuellen Rausch des wirklich blauen Planeten war nach dem Kinogang oft von einem Meisterwerk oder dergleichen die Rede.




Immerhin schafft es Sam Worthington, Sully ambitioniert zu spielen und ihm den Charme zu verleihen, den er besitzen muss, um einen Großteil der Zuschauer in seinen Bann zu ziehen. Stark emotionalisierend sind auch Sigourney Weaver als leitende Wissenschaftlerin Dr. Grace Augustine und der blödsinnige General Quaritch. Noch dümmer als dieser ist aber nur Michelle Rodriguez als taffe Actionamazone, die kaugummikauend ein Weltraum-“Yippie Yeah, Schweinebacke!“ hinaus brüllt und auch sonst herb verschenkt wird. Der Rest des Cast jedoch kann wiederum überzeugen und schafft, solche Ausfälle oder Klischees zumindest halbwegs zu übertünchen. Die Filmmusik Horners weiß bis auf wenige Ausnahmen zu gefallen, da sie die Atmosphäre Pandoras einatmet und Horner beweist, dass er das Können besitzt, - oftmals ein wenig zu – pathetische Partituren zu schreiben, welche dann im fertigen Film mit den entsprechenden Szenen kombiniert werden (kein einzelnes Stück wirkt deplatziert oder überflüssig, alle sind sinnvoll, unterschiedlich und erfüllen ihren Zweck, den Zuschauer einzuwickeln). Die Kamera ist stets gelungen – vor allen in Anbetracht der Tatsache, dass ein riesiger Teil des Films per Bluescreen entstand, was in den vielen Extras zu bestaunen ist. Auch diese machen einen guten Eindruck und lassen den Zuschauer zufrieden und aufgeklärt zurück, bieten sie doch interessante Informationen, die man sich zu jedem Film wünschen würde.

Alles in allem lässt sich also sagen, dass „Avatar“ mit dem „Extended Collector's Cut“ ein wenig besser, weil runder geworden ist. Die ursprünglichen Kritikpunkte aber bleiben zunächst – und werden dies wohl leider auch immer tun. Denn da mag Cameron gegen einen kapitalistischem Imperialismus des bösen Menschen predigen – wenn er selbst mit allen technischen Mitteln, welche in „Avatar“ niedriger als das Leben im Einklang mit der Natur dargestellt werden, ein Multimillionenbudget an die Kinokassen schickt, 2,8 Milliarden Dollar einnimmt und sich sogleich an die Fortsetzung macht, dann will dieser Geist nicht wirklich aufgehen.

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