Montag, 10. Januar 2011

Montag, der Feuerwehrmann



Eine Feuerwehr, die früher einmal das Feuer löschte, anstatt es zu verursachen, um sinnlose und schadhafte Bücher zu verbrennen? Quatsch. Alles Quatsch. Vermutlich auch nur eine Einbildung der Menschen, deren Körper und Geiste sich nur langsam von diesen grauenhaften Machwerken erholen können. Romane, Dokumentationen, Biografien und Autobiografien, Komödien, Tragödien, Epik, Lyrik, Dramatik – alles ausgegorener Mist, und noch dazu einer, der das wichtigste einer Gesellschaft zu vernichten droht: Das Glücksgefühl. Das Glücksgefühl, das die Menschen fröhlich in den Tag hinein leben lässt. Aber eben auch das Glücksgefühl, das dem Menschen eine manipulierte, sprich euphemistische Sicht auf den Alltag aufzwängt. Ein doppelbödiges Spiel also, welches der Staat mit seinen Bürgern treibt. Einerseits zeigt er ihnen, wie ein Leben mit einem strahlenden Gesicht aussehen kann und auch soll, andererseits erfährt der Bürger dadurch auch eine krasse Freiheitsberaubung. Diese nun durch die Aussage, Freiheit stehe hinter Sicherheit und Wohlgefühl, zu rechtfertigen, erscheint also fragwürdig. Doch zuerst interessiert dieser Gedanke den ambitionierten Feuerwehrmann Montag wenig. Schließlich ist er ein linientreuer Mensch, der sicher und loyal seinen Dienst verrichtet und kurz vor der lange erhofften Bevölkerung steht. Eine glückliche Welt also? Mitnichten.

Denn es kommt, wie es kommen muss, im dystopischen Genre, sei es Literatur oder Film: Der ehrliche und an das System glaubende Arbeiter erfährt ein Gefühl, welches für ihn so außergewöhnlich, so schwer zu erfassen ist, dass er ihm nachgeht – und dabei seine eigentliche Gesinnung erkennt, eine Gesinnung, unter Morast der Volksverfälschung vergraben. Und, wodurch er es erfährt, erkennt, dieses Gefühl, diesen Ausdruck, ist auch klar festgelegt, sieht man ebenso oft in dystopischen Werken: durch eine Frau, eine Geliebte, die sich nicht unterkriegen lässt, die immer noch an ihre Freiheit glaubt. Montag also wird, wie sagt man es so schön, vom Jäger zum Gejagten, vom Bücherfeind zu Bücherliebhaber. Seine konformistische Ehefrau Linda, die sich Tag für Tag von einem manipulativen Fernsehprogramm, schlicht und einfach „Die Familie“ genannt, zudröhnen lässt und dem Zuschauer teilweise wie ein abhängiger Junkie vorkommt, lässt Montag außer Acht, seine Biedermeierumwelt, all das, was er jetzt hasst, jetzt, da er mit klaren Augen sieht. Doch die Gefühlsfreiheit ist noch lange nicht verbunden mit der vollkommenen Freiheit des Individuums. Denn der Captain der Feuerwehr erkennt, was in Montag schlummert und bald ausbrechen wird, und er will es unterdrücken, sogar ausschalten, wenn es denn unbedingt notwendig ist.




Und schließlich, zum Finale, finden die beiden Fäden ein Ende: Montag, kündigt bei seiner Arbeitsstelle, nimmt aber nichtsahnend einen letzten Auftrag an, der ihn ausgerechnet zu seinem eigenen Haus führt. Nach dem anfänglichen Verharren hinter der steifen Meinung, Bücher seien sinn- und nutzloser Schund, der unglücklich machen würde, zeigt sich, dass doch noch Hoffnung zu erkennen ist. Der unterdrückte Arbeiter, von allen Seiten von Überwachung und Kontrolle umgeben, ist trotzdem noch im Stande, so etwas wie individuelles Denken hervorzurufen. Obschon er ständig beobachtet und verfolgt wird, obschon er sieht, welches Unheil den Leuten, die sich nicht anpassen wollen, widerfährt, hat er doch seine eigene Freiheit – seine eigene Freiheit, die ihm niemand wegnehmen kann. Schließlich ist ein Gedanke machtvoller und auch gefährlicher als jede richterliche Verordnung, als jeder politische Beschluss. Selbst ein solch drastischer Einschnitt in die Kultur des Menschen kann nicht verhindern, dass der Mensch seinen eigenen Willen und Glauben entwickelt. Und so gelingt es auch Montag, von der Revolutionsgruppe der sogenannten Buchmenschen zu erfahren, die sich in die Wälder zurückgezogen haben, um dort jeweils ihr Lieblingsbuch auswendig zu lernen, um es für die Nachwelt zu erhalten.

Genug Stoff also, um daraus ein sehenswertes Filmerlebnis zu machen – noch dazu unter der Regie vom großen François Truffaut, einem der Altmeister der französischen Kinokunst. Dystopische Welterzählung trifft auf einen kongenialen Filmrevolutionär. Was kann da noch schief gehen, mag man sich fragen – und sich die Antwort gleich darauf selbst in den Mund legen: viel. Truffaut nämlich inszeniert seinen „Fahrenheit 451“ erstens als absurdes Theater allererster Güte: Das lächerliche Auto der Feuerwehr, die blödsinnigen Wohnungen, die wohl so etwas wie ein „Zukunftsgefühl“ vermitteln sollen. Was an und für sich nicht schlecht ist. Abgesehen von der Tatsache, dass wir uns in einem dystopischen Film befinden. Und der ist – aufmerksame Leser haben es schon längst bemerkt – nun einmal dystopisch – und keine abgefahrene Fremdschämkomödie. Zweitens wäre dann unter diesem Punkt noch anzumerken, dass das gesamte Umfeld Montags eher einem spaßigen Kindergarten für Pessimisten gleicht, als einer grausam unterdrückenden Diktatur. Drittens die schlechte Musik, die wahrscheinlich Angst und Furcht hervorrufen soll – dies aber nicht, um mitzufühlen mit den Charakteren, sondern eher, um die Disc aus dem Player zu nehmen. Viertens die seltsamen Schauspieler, die vielleicht auch nicht wussten, was da mit ihnen veranstaltet wurde: Hier Trauer, da Freude, und in der Mitte ein wenig Bücherverbrennungsstory für die Prätention.

 



Unentschlossen, nicht wirklich gewollt wirkt das alles, und genau deshalb auch lächerlich. Die Wandlung Montags ist eine arg verkrüppelte moralische Bemühung vom Bösen zum Guten, um dem Zuschauer so etwas wie eine Identifikationsfigur ihn die Hand zu reichen. Nur, dass dieser Versuch leider scheitert. Einmal abgesehen vom fürchterliche Ende und der unglaublichen miesen Szene in der ehemaligen Schule von Clarisse – die Schüler flüchten in Knickerbocker vor ihr, Montag steht drollig in der Ecke und Clarisse fängt an zu weinen – wäre das eigentlich schon so ziemlich alles, was „Fahrenheit 451“ falsch macht. Und was tut man danach? Man sucht die guten Stellen. Und diese sind bei Truffauts erstem englischsprachigen Werk äußerst rar gesät, kurz, man findet sie eigentlich nicht. Von filmischer Seite gesehen ist da nämlich nichts, aber auch gar nichts zu holen. Höchstens die philosophische Komponente gefällt, was aber auch wieder dem Roman anzurechnen ist. Die Umsetzung des Gedankens scheitert an zu vielen Dingen. Eine bedrückende Atmosphäre hervorzurufen, einen Spannungsbogen aufzubauen, den Zuschauer richtig mitfiebern zu lassen – all das gelingt „Fahrenheit 451“ aus den oben genannten und mehrfach ausführlich angesprochenen Kritikpunkten leider nicht.

Man kann also schwer enttäuscht sein von Truffaut. „Fahrenheit 451“ hätte der spannendste Film seiner Karriere werden können, stellt sich aber jetzt, Jahre nach seiner Blütezeit als Regisseur, als sein eindeutig schwächster Film heraus. Die Dystopie selbst versteckt sich hinter dem Baum der Lächerlichkeit – ein schlimmes Bild.

1 Kommentar:

  1. Du hast soeben einen Film verrissen, in dem meine pesönliche Göttin nicht nur in einer Doppelrolle zu sehen ist, sondern dem armen Regisseur, der kaum ein Wort Englisch sprach, auch ihre Sprachkenntnisse zur Verfügung stellte (Oskar Werner, in den Staaten gerade für einen Oscar nominiert, lachte ihn bekanntlich nur aus). - Conclusio: Gott möge dir deine Sünde vergeben - auch wenn "Farenheit 451" wohl tatsächlich nicht zu den besten Werken des Meisters zählt...

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