Freitag, 12. November 2010

Die Leiden des jungen Bonds



Bond ist nicht Bond. Nicht mehr. Er tritt nicht mehr lächelnd gegen idiotische Weltherrscher an, sondern bekommt selbst die Verfrachtung in die Terrorproblematik des 21. Jahrhunderts am eigenen Leib zu spüren. Und das war auch zwingend nötig. Nachdem man künstlerisch am absoluten Tiefpunkt angekommen war und mit „Die Another Day“ nicht nur den schlechtesten Bond überhaupt, sondern auch einen in allen Belangen unglaublichen miesen Film abgeliefert hatte. Wie alle anderen großen Charakter der Weltfilmgeschichte hatte auch der smarte Agent im Dienste ihrer Majestät eine Wandlung durch gemacht: Mit Brosnan kam der zumindest teilweise erkennbare Schritt hin zum halbwegs ernst zu nehmenden Gegner – der später im neuen Jahrtausend wieder ad absurdum geführt wurde. James Bond hatte alle seine Gegner bezwungen – und war am Ende. Die Werke machten keinen Spaß, bestanden aus purer Belanglosigkeit und nervten gewaltig. Die Action war hahnebüchen und das, was die eigentlich auch lächerlichen Filme um Connery und Moore ausgemacht hatte, war den Brosnan-Bonds genommen worden: Der Humor. Zwar witzelte man immer noch – aber das hatte keinen Stil. Bond war entschlackt worden, indem man ihn zu ultracoolen Machosau machte. Die ersten Filme hatten sich darüber stets amüsiert. Nicht so bei Brosnan.

Man verlangte also nach einem würdigen Nachfolger. Mehr noch: Nach einer würdigen Neudefinition, die all den Schund abstreift und sich ganz auf den neuen Fokus konzentriert – die Welt des Terrors. Auf die kalte, unbarmherzige Welt, die unberechenbar zuschlagen kann und längst in hohen Kreisen involviert. Auf die unsichtbare Macht, die im Stillen operiert und nicht mit kitschbuntem Waffenarsenal in der Hand die großen Taten in die Welt hinausposaunt. Und mit der Änderung des Szenarios musste automatisch als Konsequenz ein neuer Hauptdarsteller, ein neuer Regisseur, ein gänzlich neues Team zusammengestellt werden. Man hätte es „Casino Royale“ nicht abgenommen, Brosnan urplötzlich in eine so schwer bekämpfbare zu stecken und ihn als zynischen einzigen in einer großen Masse und nicht alleinigen Starken in einer großen Masse dastehen zu lassen. Also musste ein neuer Bond gewählt werden. Clive Owen schien wie dafür gemacht; Cool, britisch, braunhaarig. Daniel Craig weniger. Als Weichei tituliert und noch dazu blond – schwer sollte es für ihn werden, die Kritiker und vor allem die Fans zu überzeugen, die zu der grundsätzlichen Ablehnung noch grobe Polemik hinzumischten und es Craig somit besonders hart machten.




Und jetzt? Bond ist endgültig in der wirklichen Welt angelangt. Mads Mikkelsen ist kein lächerlicher Irrer, sondern ein intelligenter, hochgefährlicher und verbrecherischer Börsenspekulant, der dringend Geld benötigt – und dies bei einem Pokerturnier in Montenegro wieder erspielen will. Bond muss das selbstverständlich verhindern und wird aufgerufen, ebenfalls anzutreten. Zuvor jedoch wird gezeigt, wie er sich seine Doppelnull erst verdiente und grobe Fehler begeht, was ihn zu einem greifbaren Charakter macht, der viel mehr ist als das aalglatte Arschoch. Bond darf eintauchen in eine Welt, die zwar exotische Abenteuer durchaus bietet, aber dann doch wieder eiskalt auf die nüchterne Realität verweist. Die besteht nämlich nicht nur aus hübschen Frauen – die später brutal gefoltert und getötet aufgefunden werden -, sondern aus der Unberechenbarkeit. Nett ist dieser Aspekt allemal – da das Pokerturnier dafür sinnbildlich gewertet werden kann. Eine Reise ins Ungewisse ist diese 21. Bondmission also, in welcher der richtige Terror mit dem Ende erst richtig los geht. Ein Terror, der brutal aufzeigt, mit was der James Bond heutzutage zu kämpfen hat. Das Verbrechen kennt keine Grenzen mehr – und Bond wird das noch schmerzlich am eigenen Körper erfahren müssen.

Denn wenn der Schlag in das Gesicht erst einmal kommt, gibt es schon kein Zurück mehr. Vesper Lynd ist eine ambivalente Figur, die von Eva Green so wunderbar gespielt wird, und die das Trauma Bonds beginnen lässt. Die Doppelbödigkeit dieser Welt wird dem Agenten so urplötzlich vor Augen geführt, dass er gar nicht anders kann, als weinend und wütend liegen gelassen zu werden. Mit einem Mal kippt die ungemütliche Welt, und aus der potenziellen Bedrohung wird eine persönliche Katastrophe – der Terror kann auch Menschen zerstören. „Casino Royale“ jedenfalls führt dem Zuschauer das gnadenlos vor Augen, ohne je in dümmliche Paranoia zu verfallen. Der erste Craig-Bond ist neben „The Dark Knight“ einer der wenigen Actionfilme, die über die Dimension der Unterhaltung hinweg schreiten – und politische Zusammenhänge so brillant mit der Story verwebt erst dem aufmerksamen Zuschauer offenbaren. Wie es Martin Campbell gelingt, sein formidables Schauspielerensemble durch ein virtuos inszeniertes Schlachtfeld in einer unkontrollierbaren Welt zu schicken, ist schlichtweg brillant. „Casino Royale“ wagt den eigentlich nicht unbedingt dringend notwendigen Schritt und zeigt so seine ganze Klasse, suggeriert Spannung durch die stetige Angst, die seit dem 11. September existiert und versteht sich trotzdem als Bond-Film.




Und der lebt nun mal von seiner Action. Die oft erwähnte Jump-'n'-Run-Szene am Anfang ist nicht nur fantastisch, sondern ebenfalls eine Bildmetapher: Der Terror erscheint viel leichtfüßiger als die mit schweren Schritten trampelnden Exekutive. Und am Ende gibt es zwar einen Teilerfolg – aber nur Schweigen, das nicht weiterhilft und den zwar in diesem Fall siegreichen Bond fragend zurück lässt. Auch die anderen Szenen erfüllen ihren Zweck, sind gefüllt mit Krach und Bombast, schnell und druckvoll geschnitten. Hierzu gehört sicherlich auch die bereits prämierte Autoverfolgungsjagd, in der Bond von Angst und Wut getrieben durch die Nacht eilt, sich aber schließlich geschlagen geben muss, um seine Geliebte nicht zu überfahren. Und genau hier stellt man fest, dass „Casino Royale“ nicht nur gut, sondern ganz großes Kino ist. Bond ist nichts weiter als ein kleiner heißer Tropfen auf dem heißen Stein, der überall hetzt und scheinbar doch nichts erreichen kann. Zutiefst tragisch ist das, insbesondere, wenn man die grandiose Folterszene mit einbezieht, aber eben auch nötig. Daniel Craig spielt Bond zwar teilweise etwas steif, aber doch eigentlich stets so, dass man das, was er fühlt und denkt, genau vermittelt bekommt. Und weil James Bond endlich auch eine einsame, geplagte Seele ist, leidet man mit ihm, kann ihn nachvollziehen. Das, was der Reihe immer gefehlt hat, besitzt „Casino Royale“: Etwas, an dem man sich festhalten kann.

Jetzt allerdings könnte man wieder mit der Aussage kommen, Bond sei doch sowieso eher komödiantisch gewesen. Wenn man dem aber entgegen hält, dass Bond doch immer Bilder der realen Welt reflektierte – beispielsweise den ewigen Konflikt der USA mit Russland -, so muss man „Casino Royale“ attestieren, mit der Verfrachtung der Materie in das Post-9/11-Trauma alles richtig gemacht zu haben. Ein Unterhaltungsfilm ist das selbstverständlich immer noch. Wenn das nicht der Fall wäre, dann wäre Bond kein guter Bond. Was aber am Wichtigsten ist: „Casino Royale“ würde man ohne den deutschen Zusatz „James Bonds 007“, ohne bekannte Namen und sonstiges dieser Art gar nicht als Bondfilm zu erkennen sein – und genau das ist die große Stärke dieses Werkes.         

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