Sonntag, 31. Oktober 2010

Gefahr und Begierde



Der Kriegsfilm ist eigentlich schon von allen möglichen Seiten ausgeleuchtet worden. Über die brillanten, traumatischen Einträge von Francis Ford Coppola und Oliver Stone bis hin zu Stanley Kubricks satirisch überspitzter Abrechnung mit der Ausbildung junger Erwachsener zu skrupellosen Killern hat der Zuschauer von heute schon jede erdenkliche Auseinandersetzung bestaunen dürfen. Der (Anti-)Kriegsfilm zeichnet sich jedoch vor allem dadurch aus, das Gezeigte als unmenschlich und grausam darzustellen, seine Darsteller an den Brutalitäten zerbrechen zu lassen – bisher wurde immer nur die scheußliche Seite gezeigt. In Kathryn Bigelows „The Hurt Locker“ ist das zwar auch nicht wirklich anders, aber in gewisser Hinsicht schon außergewöhnlich, da die Regisseurin den Krieg auch als Faszination einstuft. Protagonist Staff Sergeant William James liebt den Kick, der ihn ihn immer dann innerlich wortwörtlich fast explodieren lässt, wenn er eine Bombe entschärft. Aus dieser Prämisse heraus entwickelt sich eine gefährliche Sucht, die nicht nur zur Bedrohung für den Sergeant selbst, sondern auch für das ganze Team werden könnte – denn James geht so rücksichtslos vor wie nur möglich und treibt damit die schlechte Stimmung des Trupps auf die Spitze.

Hinter dem unheimlich dämlichen deutschen Untertitel, der auf hirnlose B-Movie-Verblödung hinweist, versteckt sich in „The Hurt Locker“ dann auch ein Kriegsfilm, der an Intensität kaum zu überbieten ist. Filmisch reicht das an „Apocalypse Now“ und andere Geniestreiche natürlich nie heran, bewegt sich dafür aber allerdings eher in dokumentarisch angehauchten Gebieten, die umso hilfreicher sind, wenn Bigelow auf die Dramatik hinweisen möchte. Im Gegensatz zu Coppolas virtuoser Oper präsentiert „The Hurt Locker“ einen dreckigen, schonungslosen Krieg und versetzt Protagonisten sowie Zuschauer mitten in das Geschehen. Und dabei kann jeder falsche Handgriff zum sofortigen Tod führen – weshalb sich Bigelow auf das Atemlose konzentriert und Momente und Szenen abliefern, die wahrlich elektrisierend sind. Wenn James seinem Schutzanzug entsteigt, um besser arbeiten zu können, fiebert man wortwörtlich mit und erkennt, dass „The Hurt Locker“ inszenatorisch ganz oben mitspielt. Der Tod ist allgegenwärtig, da werden kleinere Freundschaften – die später benutzt werden, um die Ekel dieses Kriegs zu zeigen – zum winzigen Hoffnungsschimmer in einer von Trauer und Hass dominierten Wüstenwelt.




Bigelows Arbeit ist dabei druckvoll, dynamisch und temporeich, zeugt von einem Reifungsprozess, der jetzt beendet zu sein scheint – und in „The Hurt Locker“ gipfelt, der rein optisch ebenfalls blendend ist. Die staubige Atmosphäre inmitten unübersichtlicher – und deshalb manchmal tödlicher – Häuserschluchten jedenfalls wird nahezu atemberaubend auf den Bildschirm transportiert und mit der Warnung unterlegt, dass nichts wirklich so ist, wie es scheint und man auf alles gefasst sein muss. Weshalb die Jungs der Bombenentschärfereinheit ihr trostloses Dasein auf irgend mögliche Art und Weise zu verschönern versuchen, sich dabei aber ihrer Hoffnungslosigkeit bewusst sind. Die täglichen Streifzüge scheinen nie zu enden, der gesamte Aufenthalt, der vermutlich erst mit der Verwundung oder gar dem Tod ausläuft – zuvor jedoch muss man erst einmal durch dutzende Kreise steigen, die Bigelow schonungslos porträtiert. Überall lauert die Gefahr in „The Hurt Locker“, und ihr ist nur mit Eskapismus entgegen zu setzen. Oder aber, wie im Fall von Sergeant William James, man kehrt das bekannte Prinzip um und macht aus der Nervosität ein lustiges, spannendes Spiel – welches wiederum ausartet und kaum mehr zu kontrollieren ist. Denn James ist süchtig geworden und erkennt nicht, in welche Gefahren er sich und seine Mannschaft damit bringt.

Und zu Hause fühlt sich James unnütz, ihm fehlt etwas, und es gibt nur eine einzige Sache, erklärt er seinem Sohn, die er wirklich liebe. Er kehrt zurück in das Krisengebiet, ein weiteres ganzes Jahr steht an. Nur hier fühlt er sich wohl – mitten in der gefährlichen Falle, wie Bigelow deutlich aufzeigt. Dieses Paradoxon zeichnet die Regisseurin zwar etwas zu aufdringlich, man mag es ihr aber im gleichen Atemzug wieder verzeihen, wenn sie ihre Erklärung in erstaunliche Bilder kleidet und aus dem Widerspruch die Abbildung einer verstörten Psyche macht. Ihr inszenatorischer Stil ist dabei stets so sicher, wie er sein muss, um sich dem seriösen Thema differenziert genug zu widmen. Bigelow setzt auf sichere Groß- und Hektik evozierende Nahaufnahmen, führt ihre Figuren gekonnt durch die Geschichte, weitet diese zwar ein wenig unnötig aus, zeigt aber so gleichermaßen auch, wie die Länge mancher Einsätze die Soldaten aufreiben kann. Denn ebenso wie den Protagonsietn strapaziert Bigelow den Zuschauer mit bewegungslosen Szenen, in denen man nur auf den Schlag der versteckten Gegner wartet. Diese Momente wirken zwar oberflächlich betrachtet langweilig, sind aber wohl großartig gefilmte, realistische Darstellungen der Problematik im Irakkrieg. Doch ebenso wie das nervtötende Verharren zeigt Bigelow die wirre Hektik, bellende Schreie und schwitzende, verzweifelte Männer.


                

Grund genug also für die internationalen Kritiker, „The Hurt Locker“ unzählige Male zu prämieren und auch sonst als wirklich gelungenes Kriegsdrama von beachtlicher Intensität zu loben. Und schließlich 2009 mit dem verdienten Oscar zu veredeln: Bigelows bisher bestes Werk muss aber auch von seiner bedeutungsschweren Seite gesehen werden. Das Medium Film hat verstanden, welche Aussagekraft es besitzt – und die Oscarjury anscheinend ebenso, dass man mit Preisen aufmerksam machen kann. Man möge also nun hoffen, dass „The Hurt Locker“ ein eindeutiges Zeichen gesetzt hat – und als sensationell gespielter, inszenatorisch reifer Kriegsfilm in die Filmhistorie eingeht.    

Samstag, 30. Oktober 2010

Vorschau: "The Hurt Locker"



2009 war es das Duell bei den Oscars: Kathryn Bigelows ambitionierter Kriegsfilm gegen James Camerons krass überbewerteten Science-Fiction-Streich. Mit "The Hurt Locker" konnte dann auch erstmals eine Frau den Oscar für die beste Regie erhalten und Bigelows Kriegsfilm kletterte auf der Bekanntheitsskala weit nach oben. Trotzdem reichte es nicht für die astronomischen Einspielergebnisse, die "Avatar" hatte erreichen können - völlig zu Unrecht. "The Hurt Locker" ist nämlich nicht nur unglaublich drastisch inszeniertes Spannungskino allererster Güte, sondern auch eine bis dahin kaum bis gar nicht erwähnte Betrachtungsweise des Krieges. Bigelow nämlich zeigt einen Bombenentschärfer, für den Krieg eine Droge, eine Sucht ist, von der er nicht genug bekommen kann. Jeremy Renner jedenfalls porträtiert den Protagonisten eindringlich, Bigelow findet den roten Faden und liefert deshalb zwar keinen Geniestreich im Kriegsfilmgenre, aber zumindest einen würdigen Oscargewinner ab, zu dem sich bald auf diesem Blog eine Besprechung finden wird.   

Freitag, 29. Oktober 2010

Tales of the Force Reloaded



1983, als George Lucas mit „Star Wars: Episode VI: Return of the Jedi“ den Schlusssatz unter die vielleicht bombastischste Kinogeschichte überhaupt setzte, war aus vielerlei Hinsicht noch kein Ende abzusehen. Lucas, der seine frühe Trilogie über den fantastischen Krieg der Sterne vorerst phänomenal beendet hatte, schwirrten bereits die Ideen für eine Vorgeschichte, die beleuchten sollte, wie es zu den dramatischen Ereignissen überhaupt erst kommen konnte. Schien Episode VI ein versöhnliches, jedoch unerwartetes und deshalb befriedigendes Ende zu bieten, so wäre es für den Zuschauer wohl äußerst interessant, zu erfahren, wie Darth Vader zu der dunklen Person wurde, die er jetzt ist. Neben der Komponente der Vollständigkeit ist aber auch die kommerzielle Seite zu betrachten. Hätten die drei Filme, heute unbestreitbare Klassiker, keinen Erfolg gehabt, so wäre es Lucas höchstwahrscheinlich schwer gefallen, Wohlwollen für eine Realisierung, welche die frühen Jahre der Galaxie erzählen sollte, zu finden. „Star Wars“ aber entwickelte sich nur zu einer der eindrucksvollsten, interessantesten und fantasiereichsten Filmreihen überhaupt, sondern wurde auch zu einem riesigen Kinoerfolg. Unübertroffen bis heute ist auch der Erfolg des Merchandising: Über Spielfiguren, Bettdecken und anderes wurde eigentlich jeder Fanartikel zu einem Kassenschlager. Klar also, dass Lucas seine prägende Geschichte weiter gestalten durfte – allerdings erst Jahre später, als der Hype eigentlich schon längst verebt war.

Einerseits ist hierbei zu beachten, dass Lucas klug genug war, zu erkennen, dass es einer kleinen Pause bedurfte. Denn die Zuschauer hatten einen absolut würdigen Abschluss erhalten und sollten nun erst einmal die Zeit bekommen, die Thematik auszudiskutieren und über die vielen berühmten Zitate nachzudenken. Eine Überfütterung ist nie gut, vor allem, wenn das Essen irgendwann nicht mehr schmeckt – so könnte man die Haltung Lucas' beschreiben. Viel wichtiger in diesem Fall ist aber wiederum, dass der Regisseur, der schon damals tricktechnische Maßstäbe setzte, die richtige Zeit abwarten wollte, um seine wirkliche Vision auch dementsprechend bebildern zu können. Die 80-er waren da noch verhältnismäßig ruhig anzusehen, erst mit der darauf folgenden Dekade, den 90-ern, begann das Zeitalter der Computereffekte. „Jurassic Park“ wurde vor allem aufgrund seiner genialen und bis heute nicht gealterten ins Bild gemogelten Dinosaurier der damals der neue Einspielrekord beschert, und „Titanic“, der Spielbergs amüsanten Actionfilm 1997 noch übertrumpfen konnte, bescherte dem Medium Film mit dem zwar narrativ dröge, aber tricktechnisch herausragend inszenierten Untergang des berühmten Schiffes ein neues Vorbild für Computereffekte. Nun war es also an der Zeit, die weltbekannte Saga forzusetzen – mittels einer Vorgeschichte, ebenfalls auf drei Episoden gedehnt und den Bogen zur Episode VI spannend. George Lucas konnte nun endlich das aus seinen Ideen machen, was er wirklich vorhatte und wollte, widmete sich ganz der neuen Technik und schuf sein Jahrzehnte hinausgezögertes zweites Opus Magnum.




Doch erst einmal bestand die Frage, wie man überhaupt anfangen sollte. Episode I sollte nicht zu abrupt gestartet werden und auch nichts Wichtiges vernachlässigen. Lucas und sein Team mussten also gehörig aufpassen, es dem Fan Recht zu machen und eine in allen Fällen gelungene erste Episode abliefern. Der Fokus hierbei wurde auf die jungen Jahre Anakin Skywalkers gelegt, des späteren Jedis, des späteren Darth Vader. Als begabter und intelligenter Junge wird der aus Tatooine stammende Sklave gezeichnet, als einer, der dem, welcher er als Erwachsener einmal sein wird, überhaupt gar nicht ähnelt. Die Jedis erkennen in dem talentierten Podrennenfahrer eine ungeheure Macht und wollen ihn ausbilden: Fortgerissen von der Heimat muss sich der junge Skywalker nun in einem Kreis aus Macht, Intrigen und Gefahren und beweisen, bevor Lucas zur ersten, dynamisch gestalteten Schlacht aufruft, welche die Technik vollkommen ausschöpft und mit audiovisuellen Glanzstücken auch etwas zu bieten hat. Als Lucas seinen roten Faden schließlich gefunden hatte und der Film auch finanziell ein enormer Erfolg wurde, stand Episode II nichts mehr im Weg. „Star Wars“ kam dennoch nicht überall gut an: Manch ein Fan und auch Kritiker bemängelten völlig zu Recht, dass der Film teilweise zu sehr von den alten, mehr auf Dramatik angelegten Kämpfen abweiche und fast nur noch ein grelles, popkulturelles Blitzlichtgewitter biete.

Überwiegend positiv kann „Star Wars: Episode I: The Phantom Menace“ jedoch doch aufgenommen und nicht nur die gelungene Einfügung, sondern auch die gelungene Stringenz gelobt werden. Lucas inszeniert zügig und mit bekannter Handschrift, weiß, was und wohin er will, führt sein meistens sicher agierendes Schauspielerensemble durch die vielen pathetischen Momente und zeichnet die Charaktere oft der Vorlage gerecht werdend. Ganz loslösen von der Kritik an der sich durch den ganzen Film ziehenden Inszenierung, die teilweise sogar ins Infantile abrutscht, aber dann doch nicht. Waren die ersten „Star Wars“-Werke zwar auch für die ganze Familie gedacht, so erweitert Lucas diese Zielgruppe um die ganz Kleinen, die sich am nervig plappernden Anakin und lustigen Viechern erfreuen können. Die große Magie bleibt beim ersten Prequelstreich also doch aus – ob das nun Schwäche oder gar Stärke ist, liegt ganz im Auge des Betrachters. Jedenfalls konnte man durchaus gespannt sein, wie Lucas seine weiteren beiden, noch folgenden Teile inszenieren würde. Der Anfang war schließlich nach unzähligen Jahren des Wartens gemacht und die Fangemeinde hungrig auf weitere neue Teile.




Drei Jahre später, 2002, erschien dann „Star Wars: Episode II: Attack of the Clones“, der sich grundlegend düsterer gab als der vorherige Teil. Episode II erzählt die Vorbereitung auf den anstehenden, gewaltigen Kampf und kommt mit deutlich mehr Action und Pathos als Episode I daher. Anakin verliebt sich in Senatorin Amidala und setzt damit den Grundstein für die spätere Geburt seines Sohnes, Luke Skywalker, dem er später in einer der bekanntesten Szenen der Filmgeschichte überhaupt erklären wird, wer sein Vater sei. Die Jedi werden zunehmend in die Enge getrieben und Kanzler Palpatine lässt mit der Zeit seine Gelüste für die dunkle Seite der Macht erkennen. Ein unzählige Planeten umfassender Krieg entsteht, aber das alles ist nur Basis für das darauf folgende Spektakel in der Episode III. Man mag Lucas vorwerfen, den Zuschauer gewissermaßen hinzuhalten, besser als Episode I ist Episode II aber allemal. Viel runder wirkt das Ganze, wenn jetzt die altbekannte Theatralik mit dazu kommt und zu orchestralen, dynamischen Klängen erste wirklich große Schlachten wie die in der Arena gekämpft werden dürfen. Anakin hat sich entwickelt und belästigt nicht, sondern fasziniert nicht mehr. Hayden Christensen mag das mit einem auf Dauer öden Hin-und-her-gerissen-Blick ein wenig lächerlich schauspielern, Lucas gelingt es jedoch, aus dem zweiten Teil seiner Prequelsaga viel mehr herauszuholen, als das noch bei dem ersten, vergleichsweise langweilig voranschreitenden Teil der Fall war.

Den krönenden Abschluss markiert schließlich der 2005 in die Kinos gekommene „Star Wars: Episode III: Revenge of the Sith“. Das Ende ist genau so, wie man sich das vorgestellt hat: Bombastisch, gigantisch, dramatisch. Die endgültige Wandlung Anakins zur dunklen Seite wird gelungen präsentiert und gipfelt in choreographisch einzigartigen, packenden Lichtschwertduellen, wie man sie vorher noch nie gesehen hat. „Star Wars: Episode III: Revenge of the Sith“ gelingt es, die Verbindung zwischen den beiden Trilogien herzustellen und so manche Lücke befriedigend zu schließen. Das ist stellenweise zu dick aufgetragen, legitimiert sich aber spätestens hinsichtlich der fantastischen Action, die dem Zuschauer später geboten wird. Die Dialoge wirken arg pathetisch, aber sie müssen es vielleicht auch sein. Dem letzte Teil der „Star-Wars“-Vorgeschichte ist es erlaubt, das zu sein, was man bei anderen Werken sofort als übermäßig thetralisch bezeichnen würde. „Star Wars“ besitzt schließlich diese Ausnahmestellung, und mit der kommen gewisse Privilegien. Man kann den finalen Kampf zwischen Obi-Wan-Kenobi und Anakin Skywalker als pseudocooles Herumgehüpfe, aber auch als fast schon magisches Popcornkino sehen, das bestens unterhält und in allen Belangen von Klang über Bild, Schnitt und Technik, zum Staunen einlädt. Anakin wird engültig zu Darth Vader, Leia und Luke werden geboren, man weiß, wie es weiter gehen wird. Eigentlich wusste man es von vorne herein, Lucas' Inszenierung aber ist dennoch durchgehend auf einem hohen Niveau geblieben und mit „Star Wars: Episode III: Revenge of the Sith“ noch einmal gewaltig gesteigert worden.


                                                

Man kann sich dennoch zu Recht fragen, ob diese Prequelgeschichte überhaupt nötig gewesen ist. Hinter Lucas' Filmen steckt selbstverständlich dieser Hang, jeden letzten Cent aus einer Geschichte herauszuholen – bei „Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull“ aber hat er das eindeutig übertrieben -, hilfreich zum besseren Verständnis ist die neue Trilogie aber allemal. Erst wird einerseits ein psychologisches Profil abgegeben, wie es unverzichtbar ist, möchte man mit dem eigentlich bösen, im Grunde genommen aber doch gescheiterten, tragischen Charaktere des Darth Vader zumindest ein wenig sympathisieren. Der fiese Antagonist hinter der schwarzen Maske bekommt endlich ein richtiges Gesicht – nicht dieses weiße, verfaulte Etwas, dass ihm Lucas am Ende der ersten trilogie auf den Kopf bannte, sondern eines, indem die ganzen Ängste eingefangen sind und nicht mehr herausgelassen werden. Darth Vader wird mit der Vorgeschichte von der gemeinen zur bemitleidenswerten Figur und „Star Wars“ somit so einem vielschichtigen Psychogramm, wie es in der gängigen Rezensionswelt gerne übersehen wird. Lucas zeichnet den Bösewicht nicht nur als in allen Belangen abgrundtief böse, machtbessene und rücksichtslose Figur, sondern als verlorene, in ein schwarzes, seine Ängste widerspiegelndes Kostüm gesperrte Seele, die ihrem Trauma nicht entfliehen kann, sondern ewig an es gebunden ist.

Des Weiteren ist Lucas Ideenreichtum einfach zu groß, um unbeachtet liegen gelassen zu werden. Die Bilder, die ihm im Kopf herumschwirren und nur darauf drängen, auf Zelluloid gebannt zu werden, sind wie für das Kino gemacht. Mag die eigentliche „Star Wars“-Geschichte die ultimative, einzige sein, so ist die Prequelgeschichte doch zumindest ambitioniertes Actionkino, das über die normalen Sehgewohnheiten hinaus geht und statt hirnlose Unterhaltung auf Idiotenniveau zu bieten, die Brücke zum Dramabereich schlägt. Und mit der Vorgeschichte sind auch die anderen Figuren endlich so gezeichnet, wie sie tiefgehendes Blockbusterkino sehen will. Es geht grundlegend um eine der größten Geschichten der Menschheit überhaupt, der unendliche Kampf zwischen Gut und Böse, aber das, was hier als Krieg zwischen Jedi und Sith gezeigt wird, hält sich nicht nur an der Oberfläche auf, sondern beschäftigt sich auch mit den unzähligen Motiven, findet einen Blick in die Charaktere und zeugt auch sonst von Empathie. Es lässt sich also zusammenfassen, dass Lucas es geschafft hat, seine neue Trilogie nicht aufgesetzt, sondern notwendig erscheinen zu lassen, noch dazu ein genaueres Bild seiner Figuren zu zeichnen und noch mehr auf die psychologischen Aspekte der „Star-Wars“-Geschichte einzugehen. Lucas ist kein Kunstfilmer und seine Werke auch keine absoluten Meisterwerke, aber doch so viel besser als andere pure Unterhaltungsware. George Lucas nämlich besitzt die wundervolle Gabe, wie kein anderer eine Magie mit der puren Wucht seiner Erzählungen zu evozieren, wie man sie sonst kaum sieht. Das ist genial. Das ist Kino. May the force be with you!    

Donnerstag, 28. Oktober 2010

With great Power comes no Responsibility



Er heißt Tony Stark, gibt sich auch gerne so, ist Exzentriker, Genie, Arschloch. Ein Lebemann des 21. Jahrhunderts, den es nicht interessiert, was mit seinen ultramodernen Bomben so allerlei in die Luft gejagt wird, der zwischen exklusiver Party und zahlreichen One-night-Stands hin- und herpendelt, der im Jetzt lebt und irgendwann schon mal morgen ankommen wird. Und ist damit vielleicht das komplette Gegenteil zu den herkömmlichen tragischen Comicfiguren. Gut, bezieht man einmal die Anfangsphase, in denen Superhelden einwandfrei und makellos mit Lächeln und beträchtlichen Muskeln durch die Lüfte schwebten, mit ein, so ergibt sich hierzu ein kleiner Bezug, aber spätestens seit der großen Comicdepression ist es doch erstaunlich, einen solch offensichtlich gut gelaunten „Helden“ - in Anführungsstrichen, wohlgemerkt – zu erfinden. War manch ein Comic sogar politisch und philosophisch konnotiert und somit als ernsthaftes Medium abseits der strahlenden Kraftprotze zu akzeptieren, so schwebt „Iron Man“ intellektuell gesehen stets vier, fünf Stufen tiefer. Denn Stark hat keine Selbstzweifel oder überlegt, ob seine Aktionen überhaupt seine gewisse Legitimation erhalten haben – er tut es einfach, hadert nicht mit der Gewalt, sondern findet ganz klar Spaß daran.

Und gerade jetzt, als es der neueste Trend immer wieder nach komplexen, hinterfragenden – genialen, aber auch hirnlosen – Comicverfilmungen schreit, platzt der „Who cares“-Iron-Man herein – und sorgt damit nicht für Entrüstung, sondern für die dringends benötigte Frischluftzufuhr. Denn anders als so mancher Kollege dürstet es ihn nicht zwanghaft, an der Ernsthaftigkeit zu nippen. Das Leben von Tony Stark ist im Allgemeinen eben nicht geprägt von Schuldgefühlen, moralischen Widersprüchen und sonstiger Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun: Ihn kümmert es wenig, ob das da jetzt so furchtbar politisch korrekt ist. Spaß muss es machen, mit einem geilen Anzug durch die Lüfte zu schießen und idiotische Flieger mitsamt Komandozentrale mal kräftig zu verarschen. Und da ist es auch kein Problem, bewacht von Terroristen in irgendeiner Wüste mal schnell eben jenen „Iron Man“ zu bauen, in den es später – wenn es um Gefahr und so komisches Zeugs geht – einzusteigen gilt. Dann nix wie raus aus der fiesen Höhle und ein paar naive Gegner zerschießen, bevor man mit dem coolen Abgang noch mal demonstrieren kann, was hier wirklich Style hat. Doch bevor man mit dem hochtechnisierten Spezialgerät in die Lüfte aufsteigen kann, muss erst einmal der Plot durchlebt werden. Schließlich muss auch irgendein Playboymilliardär seine Motivation irgendwo herhaben.




Tony Stark hat mal wieder gebastelt und jetzt ist dabei ein neues Highlight herausgekommen, was natürlich gleich ausgiebig getestet werden muss. Dafür geht es erstmal in die Wüste, bewacht von amerikanischen Soldaten die keine Chance haben gegen den urplötzlichen Angriff radikaler Terroristen, die von Stark fordern, unter schlimmsten Bedingungen und auch nur noch von einem seltsamen Ding am Leben gehalten, das neueste Bombenmodell nachzubauen. Natürlich ist es das noch nichts gewesen, denn so leicht kann man einen Tony Stark nicht verarschen. Der verfügt nämlich über immense Kenntnisse, was das Tüfteln und Schrauben angeht, und hat schnell den Entschluss gefasst, sich zu widersetzen, weshalb er gleich mal an dem geplanten Anzug arbeitet. Das verläuft nicht ohne Probleme, aber immerhin schafft er es, die langsam Lunte riechenden Terroristen so lange abzuhalten, den Raum, in dem er werkelt, zu betreten, bis er schließlich, ziemlich ungelenk, flüchten kann – nur um kurz darauf auf feinsten Sanddünen zu landen und den langsam nachrückenden Radikalen die übrig gebliebenen und zersplitterten Teile zur Begutachtung liegen zu lassen.

Das wirkt sich – zumindest in Hinblick auf das noch Folgende - gar nicht gut aus – was Stark aber eigentlich relativ egal ist. Denn der hat jetzt endlich wieder richtigen Spaß und ist nicht nur mit neuesten Erfindungen für die Army beschäftigt. Sein neues Alter Ego bindet in sogar von jedweder Verantowortung. Erstmal testet er die neue Faszination ein wenig, fliegt und gleitet durch die Lüfte, irritiert besagte Flieger, sorgt für Aufsehen, muss sich aber eingestehen: Was ist ein Superheld schon ohne Superschurke? Immerhin muss der Iron Man in dieser Hinsicht nicht mehr solange warten: Mit Jeff Bridges – leider hoffnungslos ungenutztes Beiwerk von großer schauspielerischer Klasse – wäre dann der eigene Kollege bereit, sich zu stellen und aus dem bisschen Ausprobieren eine ernsthafte Angelegenheit zu machen – wobei, was heißt bei Tony Stark schon ernsthaft? Also ist auch der finale Zweikampf, der mal kräftig und unnötig auf die Thetralikdrüse drückt, eigentlich ein Spiel, wie der ganze Film, sorgt aber zumindest bei den weniger anspruchsvollen Actionfans für Begeisterung.


 

Auch wenn der Showdown völlig deplatziert wirkt – schließlich wendet sich „Iron Man“ urplötzlich gegen die vorher eingegebene Richtung der puren Spaßunterhaltung -, so gelingt es Favreau doch, seine Adaption nicht abdriften zu lassen. Feinfühlig inszenierend weiß er immer, wo die Grenze ist zwischen Hirn-raus-Bier-rein-Unterhaltung und dem Lächerlichen, versteht es, die Action gut zu integrieren und zeigt damit genau das, was man sich zwischen Nolan und Snyder wünscht: Einen richtig coolen Actionfilm, der sich genau wie „Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull“ wenig um Logik oder sonstige Werte kümmert, sondern nur unterhalten will. Dazu gibt es noch einen genialen Robert Downey Jr. in seiner mit Abstand besten Leistung seit Jahren, der zu „Iron Man“ passt wie die Faust aufs Auge und sich sichtlich wohl fühlt in einer Rolle, die wirklich gut tut. Er spielt Stark mit der notwendigen Präsenz und lässt selbst den – in die falsche Rolle gesteckten – Jeff Bridges mehr als alt aussehen, wenn er mit lockeren Sprüchen nur so um sich wirft. Eine Paraderolle also, ein Iron Man, der zumindest in seinem ersten großen Leinwandabenteuer fast alles richtig macht, was richtig zu machen gilt. Da sieht man auch über manchen gewollten und deshalb eben nicht gelungenen Witz, die irgendwie fade inszenierte Geschichte mit Stark und seiner Assistentin und schließlich den einzigen wirklich drastischen Fehler des Films, das Finale, hinweg. „Iron Man“ ist wie „The Expendables“ ein sehr guter Film – nicht aufgrund seiner Brillanz, sondern wegen der Auflockerung des pseudoernsten Kinos dieser Tage. Yeah, Man!  

Montag, 25. Oktober 2010

Boulevard of broken Dreams



Watch out, Comicszene, denn Zack Synder ist wieder da. Und nachdem er mit „300“ einen gewissen Achtungserfolg erzielen konnte, ist er scheinbar ganz besonders scharf auf neue Comics. Da mag man sich doch wundern, dass er sich auf die „Superman“-Regie eingelassen hat. Da hat er erstens einen nicht bluttriefenden Stoff vor sich, den es nach Snyder mit roter Suppe überall zu inszenieren gilt, sondern die kitschige, zahme Variante des ganz tollen Superhelden. Und weil sich der fliegende Unbesiegbare auch sonst nicht so politisch engagiert, ist auch nichts mit Gesellschaftskritik, die der liebe Herr Snyder uns ja immer vorgaukeln will, und Zynismus – kurz: Man darf gespannt sein, was der „Watchmen“-Inszenator, diesmal unter dem strengen Blick von Christopher Nolan, von sich gibt. Doch zuerst hatte er sich einmal des imposantesten Graphic Novels angenommen, den es überhaupt gibt. Die „Wactchmen“ sind keine Capes-Träger mit irgendwelchen Teenie-Problemchen, sie sind sozusagen ausgestoßene, zutiefst nihilistische Kreaturen, die anders gar nicht zu bezeichnen sind. War bei anderen Comics – mal abgesehen von Batman – der gewisse Grad an Drama nur ein Mitläufer, um allzu infantile Kloppereien geschickt und manipulierend zu kaschieren, so ist er hier die Quintessenz. Es geht nicht um Superschurken in blödsinnigen Kostümen, sondern um langsam abrutschende Welt, um diesen Dreck von Menschen, die johlend durch die Straßen ziehen, wie Rorschach es wohl sagen würde. Gewissermaßen ein Heiligtum in der Comicszene, war eigentlich von vorne herein klar, dass Snyder keine zufriedenstellende Adaption gelingen würde – die Frage war nicht, ob er Fehler machen würde, sondern wie viele Fehler er machen würde.

Dabei hatte Snyder ja eigentlich gewisse Möglichkeiten, den Graphic Novel ambitioniert auf Zelluloid zu bannen. Um auf den Trendzug der Comicverfilmungen aufzuspringen, stellte Warner für einen eigentlich der breiteren Masse eher unbekannten Stoff 160 Millionen Dollar bereit – ein Budget, von dem jeder Regisseur träumt. Sogesehen hatte Snyder zwar nicht freie Hand, was die Inszenierung anbelangt, aber doch künstlerischen Raum, um das Opus Magnum nach seiner Vorstellung zu visualieren. Und machte somit gleich den ersten Fehler: Die „Watchmen“ sind in den achtziger Jahren angesiedelt – bei Snyder sieht alles nach trendigem Trend aus, wie er seit Nolans Neugestaltung von Batmans Kostüm besteht. Die Outfits sind grell, cool und vor allem nicht das, was zu den pessimistischen Wächtern passen würde. Aber nicht nur die Kleidung, die ganze Optik stinkt gewaltig nach Style-Gier. Nur, dass ein wirr zusammengewürfelter Mix aus allen bekannten technischen Schnickschnacks noch lange keine gelungene Darstellung ergibt. Es wirkt, als hätte Snyder in den „Watchmen“ all das machen wollen, was der kleine Junge in ihm immer machen wollte: Wild und unkontrolliert zwischen idiotischen Zeitlupen und besonders fetten Blutspritzern oszillierend, versagt Snyder sogar beim Style-over-Substance-Faktor, der ihm bei dem auch schwachen „300“ zumindest ansatzweise gelang. Denn nach einer Weile findet man das nicht mehr eindrucksvoll, sondern belästigend – und wenn urplötzlich, aber zum Glück auch nur kurz, Nenas „99 Luftballons“ ertönen, wünscht man dem Grauen ein Ende.




Was bei der Optik anfängt, setzt sich mit der Handlung fort – oder besser: Gerade weil Snyder auf so übertriebene Visualisierung setzt, wirkt der Zynismus der Wächter so lächerlich. Rorschach, der paranoide Misanthroph, verkommt vor einmal durch die Popkultur gezogenen Bildern zum gewalttätigen Pseudokerl, Night Owl zu irgendwie immer leicht debil drein schauenden Nebenfigur, die es gar nicht gebraucht hätte und Silk Spectre II zur Sexbombe, die irgendwie in einen Latexanzug gezwängt wurde, nur um dem Popcornkino auch noch seine dümmliche Referenz zu bieten. Mit Snyder geht die Ernsthaftigkeit, die politische Konnotation der „Watchmen“ den Bach runter, weil er auf modernstes Setting setzt und so nicht das erhoffte Retrofeeling evozieren kann. Und weiter noch: Das Werk wirkt inhaltslos, aber zur Redundanz aufgeblasen. Snyder weiß nicht, was er mit den unzähligen Geschichten und Verweisen anfangen soll, packt sie zusammen und macht daraus ein dämliches Splatterfestival für Leute, die gerne Arme aufplatzen sehen. Moores Graphic Novel ist kein temporeicher, hochdynamischer Thriller, als den ihn Snyder wahrscheinlich gerne sehen würde, sondern ein elegisches, ausschweifendes Jahrhundertwerk, das seinen Status ganz bestimmt nicht aufgrund der fabelhaften Action verliehen bekommen hat. Aber genau die macht Snyder zu einem der Hauptbestandteile seines Films: Da werden in dunklen Gassen reihenweise Gangster kaltblütig mit heftigen Methoden aufgemischt, Finger ab- und Beine durchschossen, Arme abgetrennt und Kinderleichen von Hunden gefressen.

Nicht, dass dies jetzt als Geschmacklosigkeit abgestempelt werden soll – aber ihn Synders Inszenierung wird aus der Gleichgültigkeit, wie sie im Kosmos der Watchmen vor dem drohenden Krieg besteht, ein Spaß an der Gewalt. Da atmen Silk Spectre II und Nite Owl sichtbar auf, als vor ihnen ein gutes Dutzend malträtierter Männer liegt, und irgendwie scheinen ihnen die glücklichen Erinnerungen an die früheren Zeiten wiederzukommen. Snyder unterlegt diese verklärten Gewaltausbrüche noch mit einer Drastik, die ganz und gar unangebracht ist, indem er mit technischen Raffinessen arbeitet und die hoch komplexen „Watchmen“ teilweise wie ein billiges Splatterfestival aussehen lässt. Es scheint außerdem, als wäre der Regisseur mehr daran interessiert, ein wenig herumzutüfteln und zu probieren, wie weit man gehen kann – ziemlich weit eigentlich, nur nicht auf diese Art -, als sich um eine ordentliche Inszenierung zu kümmern. Er schickt Nite Owl und Silk Spectre II auf ein lachhaftes erotisches Abenteuer, das in der möglicherweise blödesten Sexszene der letzten Filmdekade kulminiert: Vor „Hallelujah“ darf im futuristischen Fortbewegungsmittel des Eulenmanns korpuliert und beim Höhepunkt dann – natürlich unabsichtlich – das Feuer aus dem Quasiraumschiff gestoßen werden. Das ist nicht nur blöd, sondern sehr blöd, ignoriert den Mythos des Comics komplett – von diesem Moment an scheint der Untergang der „Watchmen“ wirklich zu beginnen.




Um natürlich dem philosophischen Gewand gerecht zu werden, widmet sich Snyder ebenso ausführlich den Dialogen und Monologen, die „Watchmen“ immer mal wieder durchziehen. Doch auch hier will das Ganze nicht wirklich funktionieren: Arg pathetisch wirkt das, wenn auf dem Mars seltsame Geräte aus dem Boden fahren und davor Dr. Manhattan und Silk Spectre II ein für den Charakter des vielleicht einzigen „Superhelden“ enorm wichtiges Gespräch führen. Snyder wiederum misslingt es, der Szene etwas Imposantes einzuhauchen, dafür sieht die Optik wiederum zu getrimmt aus. Rorschachs depressive, wahnhafte Aussagen sind nichts weiter als gekrächztes, narzisstisches Einerlei ohne wirklichen Sinn. Denn was bringt einem ein inszenatorisch verschwendetes, aber insgesamt gewaltiges Zitat, wenn es in ein absolut misslungenes Drumherum gesteckt wird? Eben. Also, fragt man sich nun, weshalb hat Zack Snyder diese „Watchmen“, das Heiligtum, überhaupt adaptiert? Einerseits wollte er es anscheinend besser wissen, beweisen, dass es doch möglich ist, den Graphic Novel zu verfilmen – was Moore ja immer anfechtet. Andererseits ist Snyder der Meinung: „Außerdem haben wir den Figuren etwas verliehen, was nur Kino wirklich gut kann, nämlich emotionale Tiefe“. Das Kino schon. Zack Snyder nicht.   

Samstag, 23. Oktober 2010

Vorschau: "Watchmen"



Zack Snyder, der Grenzfall. Nach seinem aufgeblasenen und prätentiösen "300" liefert er mit "Watchmen" die Adaption des vielleicht besten Graphic Novels überhaupt. Dabei gefällt es ihm wohl mehr, aufplatzende Arme und idiotische Sexszenen inszenieren zu dürfen, als sich um den pessimistischen Grundton zu kümmern, der nur nebenbei tangiert, denn ernsthaft angesprochen wird. Alan Moores stilbildendes Jahrhundertwerk zieht Snyder konsequent durch den Dreck, verpasst ihm kräftige Schläge und lässt ihn schließlich als hirnloses Style-over-Substance-Kino par excellence zurück. Aber, apropos Style: Die neuinterpretierten Watchmen sehen nicht mal gut aus. Grelle Farben und audiovisuelles - pardon, my french - Gewichse machen noch lange keinen guten Comicfilm aus. Der ist wohl eher bei Burtons fantastischem Batmansequel zu finden - da, wo man den Kanon eines höher gestellten Werkes noch ernst nahm und sich Mühe gab, diesen auch filmisch äquivalent zu transportieren. "Watchmen" ist das tragische Zeugnis, wie man ambitionierte Comickunst sensationell runterschrauben kann. Warum, weshalb, wieso ist demnächst hier auf diesem Blog nachzulesen.      

Dienstag, 19. Oktober 2010

Träum schön



Christopher Nolan weiß, wie man Filme bewirbt. Und mit „Inception“ hebt er dieses Können auf eine neue Stufe. Er wählt den Traum, so mysteriös und fremd, ummantelt ihn mit einer emotionalen Geschichte, packt ein paar bekannte Darsteller dazu – und manipuliert den Kinofan damit auf äußerst feinfühlige Weise. Nicht nur, dass das Schema anziehend auf den Filmliebhaber wirkt: Mit der Traumwelt entzieht er sich auch dem Zwang, groß rechtfertigen zu müssen. Denn was Krudes, Lachhaftes, Idiotisches in den Träumen eines jeden vorfällt, dürfte man zur Genüge erfahren haben. Und seitdem die erste Hypebombe in Form eines seltsamen Trailers mit sich drehenden Hotelfluren und auf faltenden Straßen einschlug, gab es von Seiten der 5. Gewalt kein Halten mehr. Man schoss mit Superlativen durch die Luft und krönte Nolans neueste Schöpfung als hyperintelligentes Erlöserkino in Zeiten der explosionssüchtigen Roboklopper – eine Begeisterung, so gewaltig, das gerne einmal alles, was wenigstens einen Hauch mit Objektivität zu tun hat, mit einem kräftigen Kinnhaken zu Boden schlug. Auf die über alles hinwegsehende Internetmaschinerie folgte die kräftige Unterstützung der öffentlichen Medien: Quasi jedes Blatt adelte „Inception“ als großartiges Mindfuckkino zwischen Edelaction und Realitätsphilosophie. Wer nach den Webkommentaren noch immer skeptisch war, kam spätestens durch diverse Filmzeitschriften zum Einlenken. Oder gab dem Drang nach, mitreden zu wollen.

„Inception“ entwickelte sich rasend schnell zum Sommerblockbuster 2010, gab den anderen Großproduktionen keine Chance und stieg mit seinen Einnahmen enorm. Was Christopher Nolan mit „The Dark Knight“ geschaffen hatte, sollte ihm bei der Promotion für „Inception“ gewaltig helfen: Der Brite war jetzt bekannt als Visionär, der dem Blockbuster seine Intelligenz wieder gab, die Unterhaltung aber deshalb nicht nahm. Wer schon im Kino war, leitete seine Begeisterung meist sofort an den nächsten weiter: Es galt ebenso, diesen angeblich sensationellen Endtwist endlich sehen zu können, von dem alle sprachen. Christopher Nolan und sein neuestes Werk waren in aller Munde und Gesprächsthema Nummer 1 – da gab es dieses immer wiederkehrende Motiv des Blockbusters mit Hirn, die Thematik der Innovationen, die quer durch den Film gejagt und fabelhaft visualisiert werden würden und selbstverständlich die Debatte um die verschiedenen Interpretationen. Das Spiel um Realität oder Traum wusste bestens aufzugehen, hitzte es doch die aufregendsten Diskussionen an. Außerdem galt es, „Inception“ zu verstehen: Der Limbus, die Zeitdehnung, die einzelnen Regeln. Nolans spezieller Kosmos war voller faszinierender Ideen, welche die Zuschauer reihenweise in die Kinos lockten. Oder, anders gesagt: Der Hype hat bestens funktioniert.




Doch gelungene Promotion hin oder her: „Inception“ erweist sich, wenn man denn dem Film mal eine differenzierte Betrachtung schenkt, als wahrlich furioser Actionthriller, der zwar nicht zum besten Film aller Zeiten avancieren könnte, aber dennoch Ambitionen auf etliche Preise und vor allem – dies mag sogar die wichtigere Nachricht darstellen – prägend, weil stilbildend, auf spätere Generationen Film sein. Christopher Nolan hat im Laufe der Jahre zu seiner eigenen Art und Weise, sich an filmischen Kontext heranzuwagen, entwickelt und dümpelt nicht wie manch anderer Kollege in den infantilen Gewässern eines nie wirklich ganz abgeschlossenen Bldungskreises herum. Seine Filme sind dynamisch, sparen nicht an gewaltiger Action, finden – gerade in Betracht auf seine neueren Werke – in den Kreisen der finanziell gut ausgerüsteten statt, was diesen wiederum ermöglicht, mit technischen Innovationen zu arbeiten, und weisen moralische, gesellschaftspolitische, psychologische und philosophische Bezüge auf. Dass Nolan trotz allem nicht zum Retter erklärt werden muss, liegt an den immer noch vorhandenen Schwächen in seinen Werken. In „Inception“ bedient sich der Brite dabei mehrerer grundlegender Elemente, die allesamt auf ein Ziel hinauswachsen: Den Zuschauer vor die Leinwand bannen. Nolan inszeniert erlebendes, mitreißendes Kino und bemüht sich, den Betrachter nicht mit unmenschlisch langen Aufnahmen zu malträtieren oder abzustoßen, wie es ein Stanley Kubrick einst fabriziert hat.

Und dennoch ist das Kino des neuen Wunderkinds zwar actionlastig, aber doch nicht von Action dominiert - es gibt ebenso ausschweifende Dialoge wie kräftige Schießereien, emotionale Momente der Trauer wie imposante Autoverfolgungsjagden, kurz: „Inception“ ist Nolan, wie man ihn jetzt gerade definiert. Und eben um dieser Definition ein wenig nachzugehen, muss man die verschiedenen Aspekte einzeln heruspicken und schließlich wieder zusammenfügen, um sie in ihrer Wirkung bestaunen zu können. „Inception“ ist stark emotionalisiert. Der Plot ist gespickt mit dutzenden Szenen, die zum Mitfühlen aufrufen. Der Protagonist Dom Cobb muss mit dem Tod seiner Frau, eigentlich verschuldet durch ihn – was er sich später auch immer wieder zum Vorwurf macht, weshalb er nicht weg kommt, die glücklichen Momente der Vergangenheit immer wieder aufzusuchen -, umgehen, er muss ihn auch verdrängen, um frei zu sein von den Projektionen seiner gestorbenen Frau, die ihm in den Träumen oft begegnen. Im Spiel DiCaprios erkennt man eindeutig das Leiden, welches Cobb zerfrisst. Denn nicht nur, dass seine Frau, die, als sie wieder in der Realität war, in einem weiteren Traum glaubte zu befinden, und deshalb umbrachte, um aus dem angeblichen Traum wieder heraustreten zu können, nun tot ist – er kann auch nicht wieder in die USA einreisen, wo man ihn als Mörder sucht, schließlich hat seine Frau alles unternommen, um ihn nun so dastehen zu lassen. Der einzige Weg, die jetzige Situation zu umschiffen, wäre der Selbstmord Cobbs gewesen, aber den war er nicht bereit, einzugehen.




Viel rührender Stoff also für einen eigentlichen Action-Thriller. Genug eigentlich, um ein gesamtes Drama zu erzählen. Nolan, für den Redundanz sicherlich kein Fremdwort ist, will aber stets so viel wie möglich unter einen Hut packen. Im nolan'schen Kosmos gibt es Jugendlieben, Identitäts- und Ratlosigkeit, Kämpfe um Macht, Vorrangstellung und Ansehen. In „Inception“ wiederum jede Menge scheinbar einwandfreie, hochsterilisierte Action, (pseudo?)philosophische Anleihen und die angesprochenen Emotionalisierung. Nolan schickt Dom Cobb durch ein undurchdringbares Labyrinth an schicksalsschweren Erlebnissen, die seinem sowieso nicht gerade ermutigenden Leben, in dem er sich wohl mehr in den Träumen anderer befindet als seinen eigenen nachgeht, keinen allzu großen Anschub geben, kurz: Der Protagonist leidet seelisch schwer, sein Wunsch, seine Hoffnung, endlich wieder nach Hause gehen können und zumindest seine Kinder, wenn schon nicht seine Frau, wiederzusehen, zwingt ihn also zu seiner Zusage, den finalen Coup zu planen und durchzuführen. Und der Zuschauer, gezwängt in ein enges Korsett aus Trauer und Verzweiflung, muss mitfühlen. Wer das nicht tut, so könnte man interpretieren, für den ist auch das Nolan-Kino an sich nicht geeignet. Denn ohne diese vielen Emotionen wäre „Inception“ nicht der Film, als der er nun bald, nämlich am 3. Dezember, in den Regalen stehen wird: Dann sähe man als Zuschauer einen gefühlslosen, aber trotzdem hoch spannend inszenierten Actionthriller, der mehr auf Shootouts denn auf Mitfühlen setzen und somit die Quintessenz der Filme des Briten vermissen lassen würde.

Denn zwischen Action und Spannung, Dynamik und Ausführungen, braucht der Zuschauer das bindende Glied. Was beim einen der Humor ist – welcher in Nolans Filmen aber auch nie wirklich zu kurz kommt, vor allem „Inception“ glänzt mit subtilen Witzen, die nicht auf Schenkelklopfermanier blamieren -, stellt sich beim Briten als Drama heraus. Mit viel Feingefühl lässt er seine Figuren oft am Grad des zu Ertragenden wandern, in den Abgrund schauen und entweder scheitern – wie Harvey Dent beispielsweise - oder sich doch noch überwinden. Er benutzt die Thematik, um seinen Werken mehr Tiefgang zu verleihen, und, was als deutlich wichtiger angesehen werden kann, um den Zuschauer förmlich in die Geschichten zu ziehen. Denn mit Emotionen kommt Mitgefühl – und dieses bindet den Betrachter an die einzelnen Charaktere. Was natürlich aber nur funktioniert, wenn der Regisseur mit dem dafür nötigen Können an die Sache herantritt. Nolan, inzwischen darauf spezialisiert, tut dies.


                                          

Die Story von „Inception“ besitzt Zug. Sie arbeitet konsequent auf das Ziel zu, schlägt zur Seite aus, liefert Nebenstränge, hat aber doch stets das Ziel im Visier. Nolan führt ein, erklärt die Regeln, weiht die Charaktere ein, schildert seine Welt und lässt den Zuschauer nach und nach eintauchen. Cobb bekommt das Angebot, nimmt es an und beginnt mit der Rekrutierung seiner neuen Teammitglieder, plant die Einpflanzung des Gedankens, bastelt an den verschiedenen Ebenen herum, erklärt der Extraktion fremden jungen Architektin Ariadne die Welt, erzählt ihr von sich und seinem Trauma, nimmt sie sogar mit auf seine Vergangenheitsbewältigung, die in Wahrheit nur ein Nicht-vergessen-können ist, steigt mit der Zeit die Stufen zum Traum hinauf. Mit der Zeit wächst die Vorbereitung, mit der Zeit wächst die Story: Christopher Nolans Stringenz, die trotz aller Rückblicke, Verflechtungen und Einschübe als solche zu bezeichnen ist, beeindruckt - der Regisseur versteht es, den Stein ins Rollen zu bringen, aber der Stein gerät nicht außer Kontrolle. Mit notwendigem Timing für die stillen, herausgegriffenen Momente treibt er seine Geschichte voran, verzichtet nicht auf die komplettierenden Zusätze, verliert den roten Faden aber auch nie aus den Augen. Sicher führt er den Zuschauer durch ein anfangs unüberschaubares Wirrwarr an Haupt- und Nebensträngen, sinnvollen und sinnlosen Ergänzungen, zum Verständnis enorm wichtige Informationen über Abläufe, Definitionen und Gesetze in der Traumwelt.

Auch filmisch arbeitet er konsequent auf das Ende hin: Er lässt den Zeitraffer einsetzen, dadurch einen Sog entstehen, liefert passende Musik und trimmt auch die Schauspieler auf konzentriert. Das Team recherchiert und überlegt, übt mit Trainingsschauplätzen, Ariadne übt, wie man die vier Ebenen am besten designt, der Chemiker berechnet, wie stark oder wie schwach bestimmte Tränke sein müssen. Nolans Spannungsbogen überschreitet den eines gängigen, konventionellen Thrillers in Hollywood heutzutage. Vielmehr besteht die Spannung nicht aus einem spektakulären Kampf, sondern dem hypnotischen Darauf-zu-gehen. Dabei hat er genügend Zeit, um sich den Figuren an sich stärker zu widmen – beispielsweise wird Cobb in der Vorbereitung spezieller begutachtet, man erfährt, gerade weil er Ariadne so manches über seine Vergangenheit erzählt, viel von der Person, von dem introvertierten Teamleiter. Er berichtet von dem traumatischen Ereignis, dem Suizid seiner Frau, von Nolan gelungen, wenn vielleicht auch etwas zu sehr ins Kitschige abdriftend, in Szene gesetzt, betritt mit Ariadne zusammen das Haus, in dem er und seine Frau früher lebten. Er kommt nicht weg von seinem Schock, und dies könnte der gesamten Gruppe zum Verhängnis werden: Schon bei der ersten Extraktion im Film kam es zum ungewollten Fehler, weil Cobb seine Frau projizierte und diese den Plan, der fast vollendet schien, durcheinander brachte.




Hierbei setzt Nolan ganz auf das bewährte Prinzip des Rückblicks, welches er, mit dem Traumschema blendend verpackt, narrativ gut einzubinden weiß. Er fügt seinem Protagonisten diese Trauer zu, um ihn für den Zuschauer begreiflicher, fassbarer zu machen. Ob man dies nun als geschickte Manipulation oder doch filmisch einwandfreie Regisseursfreiheit bezeichnen möchte, bleibt einem jeden offen. Zu konstatieren ist jedoch, dass Nolans Trick funktioniert: Die Geschichte weiß erstmalig wirklich zu fesseln, nachdem der erste Teil eigentlich nur für das Erklären zuständig war, was sich wiederum aufgrund der komplexen Thematik ein wenig in die Länge zog, und der Zuschauer sieht nicht nur mit den Regeln überforderte, sondern jetzt auch in die Story eingebundene Betrachter, die „Inception“ nun auch endlich begeistern kann. Und wenn „Inception“ auf die letzten Meter eines nicht ganz mit Hochgeschwindigkeit ausgeführten Sprints gelangt, die Vorbereitung ab- und die Schläuche anschließt, in den Traum – oder genauer: in die Träume – hinein gleitet und seine vorher nur stückchenweise angerissene Welt in aller Faszination offenbart, gerät alles bis dahin gesehene aus den Fugen. Hier sind dann, ganz im Gegensatz zu den hochgepushten Lobesgesänge auf den überragenden Intellekt des Films, die Superlative auch wirklich angebracht. Was Christopher Nolan visuell aus „Inception“ herausholt, trotzt jeder Kritik. Da werden in der Filmhistorie sicher noch des Öfteren zitierte Hotelflure gedreht, weil sich ein in der davor liegenden Traumebene befindendes Auto quasi gravitationslos durch die Luft geschleudert wird, leblose Körper aneinander geschnürt und in ein außer Kraft gesetztes Fahrstuhlsystem verfrachtet, wo die weitere Bewegung mit außergewöhnlichen Mitteln herbeigerufen werden muss, kurz: Es gibt keine kreativen Grenzen mehr.

Denn, so viel sei offen dargelegt: Nolan muss sich schon seit dem vielversprechenden, aber doch mit noch einigen drastischen Schwachpunkten bestückten „Batman Begins“, der ganz den Erwartungen gemäß den Einspielergebnissen entsprach, vor keinem Studioboss mehr rechtfertigen. Nolan ist nicht nur einer der wenigen Lichtblicke im momentanen Hollywood, er ist auch finanziell gesehen der, den die Unternehmen haben wollen. Seine Filme sind keine den normalen Filmfan abweisende Arthousekunst, sondern auch bestens unterhaltende Actionkracher – Blockbuster mit Hirn. Und eben die sind es dann auch, denen man gewisse Privilegien gönnt. Nolan ist ein ausdrucksstarker Name in der Filmindustrie, ohne den hätte er seinen „Inception“ wohl nie finanziert bekommen. Weil es nun aber so ist, wie es nun mal ist, stehen hinter dem Briten eine ganze Menge zahlungskräftige Leute – und die scheuen sich auch nicht, in manch bizarre Idee einige Millionen zu stecken. Mag heißen: „Inception“ ist grandios visualisiert worden, verfügt über außerordentlich originelle Einfälle und sieht – weil diese mit dem nötigen Budget daherkommen – auch dementsprechend fantastisch aus.




In der Welt eines Christopher Nolan gibt es keine Kompromisse mehr. Man stelle sich das einfach mal so vor: Da spaziert ein junger, energischer Regisseur mit ziemlich abstrakten Ideen in ein Studio und stellt sein Konzept vor. Das ist an sich nicht schlecht, wartet aber mit krassen Vorschlägen auf – eine Straße in Paris, die urplötzlich aufgefaltet wird? Wilde Ballereien in wilden Schneelandschaften mit wilden Fahrzeugen? Mit viel Risiko würde man da spielen, diesem jungen Kerl knappe 160 Millionen und einen Cast, von dem man als Neuling nur träumen kann, einfach so zur Seite zu stellen. Nolan hat die nötigen Voraussetzungen dabei – und bekommt selbst die krasse Traumspielerei auf die Leinwand. So teuer wie geschätzte 30 Independentprojekte zusammen ist „Inception“, und man merkt, dass nicht gespart wurde. Unterlegt von Hans Zimmers in diesem Fall sogar passenden, weil extrem druckvollen Soundtrack ist die Audioanlage kurz davor, zu bersten, wenn unter donnerndem Getöse gigantische Türme in verschneiten Berglandschaften einstürzen und man das Geschehen aus ultraweiter Kameraperspektive beobachten darf. Hypnotisierend ist das fast schon, was dem Filmfan da an cineastischer Haute Cuisine geboten wird, ein einziger großer Leckerbissen ist „Inception“. Züge rasen in Autostaus, es gibt fetzige Ballereien auf dem altmodischen, aber noch immer bestens aussehenden Prinzip der hollywood'schen Carchase, die Nolan rasant, laut inszeniert und vor allem allem zeitlich genau abstimmt. Sobald „Inception“ in den Bereich des Showdowns gelangt, lässt Nolan alle Mängel ob einer strapazierenden Dehnung und Streckung, die schlichtweg langweilend wirkt, hinter sich und konzentriert sich auf das Wesentliche: die Action. Getrauert werden darf davor und richtig los philosophiert werden danach, ganz am Ende – während des fulminanten Finales wird weder emotionalisiert noch groß über realitätstheoretische Fragen nach gedacht, es wird geschossen.

Hier gelangt „Inception“ auch zu seinen Heist-Movie-Anleihen. Idee, Planung, Ausführung: Die drei Grundthemen des Genres sind enthalten, und nur um für Nolan typische Elemente erweitert worden. Man wagt sich jetzt immer weiter an das vorher als unmöglich deklarierte Ziel heran: Die Inception. Doch genauso gilt: Was vorher durch strukturierte Überlegung war, muss in der Praxis auch erst einmal funktionieren. Schließlich wird nicht ein für Cobb schon zum Routinefall verkommener Standard-, sondern ein hochkomplexer Spezialauftrag ausgeführt. Und dieser gestaltet sich im Traum dann auch schwieriger als vorher gedacht. Das präzise Timing ist eben doch nicht alles und mit urplötzlich auftretenden Zwischenfällen muss gerechnet werden. Und während das Team mit Ausfällen, Verletzten und sonstigen Querelen zu kämpfen hat, beginnt Nolans beste Arbeit am Werk erst wirklich: Das Hin- und Herspringen zwischen den einzelnen Ebenen ist ein Anwärter auf gesamte Jahreskategorien, die es sich zur Aufgabe machen, die besten Szenen des vergangenen Kinokalenders zu küren. Und die perfekte Schnittarbeit, das ausbalancierte Zeitgefühl und die brillant eingefangenen Momente – schwebendes Auto, Bündel regungsloser Körper inmitten eines Fahrstuhlschachts – sind auf dem besten Weg, jene Momente aus „Inception“ auf den Thron zu heben. Dafür ist das ganze Konzept einfach viel zu beeindruckend, als das ein anderer, bloß „normaler“ Streifen dies toppen könnte, sollte man meinen.




Ein Glück, dass „Inception“ hierbei auf ein gelungenes, wenn auch nicht sensationelles Drehbuch – wie es „The Dark Knight“ mit seinen an „Fight Club“ erinnernden Zitaten des Jokers besaß - setzen kann. Dieses nämlich schafft es, die abschließende Wendung vom furiosen Actionthriller-Heist-Movie-Science-Fiction-Blockbuster durchdacht, logisch und nicht konfus und hanebüchen erscheinen zu lassen. Denn der Twist kommt spät, reichlich spät, aber nicht zu spät, sondern genau richtig – nämlich als letztes Bild, als letzte Einstellung. Und um die erhoffte Wirkung auch zu erreichen, muss die Schlusswendung auch mit Klasse daherkommen, darf sich nicht in die Reihe der pseudounerwarteten Idiotentwists einreihen. Doch wenn man „Inception“ einmal gesehen hat, kann man sich gar nichts anderes mehr vorstellen – schlichtweg unpassend, aufgesetzt würde das aussehen. Nolan hat mit dem Ende seine Vision der Traumwelt, sein ganzes, komplexes, Werk abgeschlossen – den Gedankengang des Zuschauers aber eben noch lange nicht. Es ist also insofern ein großer Verdienst, mit anzusehen, wie man nach dem Film noch lange über mögliche Interpretationen diskutiert. „Inception“ bezieht seine Faszination nicht allein aus dem Begeisterungsfaktor, der durch unzählige geniale Momente evoziert wird – dazu besitzt der Film auch zu viele eklatante Schwächen, die nicht als Marginalien durchgehen: Zu lang, dabei teilweise extrem, das ab und zu einsetzende Sich-wiederholen bei der Geschichte um den Tod von Cobbs Frau, der manchmal einsetzende Effekt, sich quasi selbst bestaunen zu wollen, ohne wirklich abzuwarten, ob dies bei den Zuschauern genauso ist -, sondern vor allem durch die direkt erfolgende Einbindung des Betrachters in die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten und somit in den Film.

Die ganze Arbeit überlässt Nolan dem Zuschauer aber nicht – etwas muss vorgegeben sein, damit man nachziehen kann. Und Nolan hat sich Gedanken gemacht. Zum Beispiel stellt „Inception“ den Traum zeitweise als Realitätsflucht dar: Für Cobb, der darin Heil sucht, aber auch droht, sich darin zu verlieren, ist der Traum sozusagen seine zweite Heimat geworden. Denn diese kann er wesentlich beeinflussen, er kann sie sich bauen und zurechtlegen, formen und bilden, bevor er darin auf Suche geht. Der Traum ist eine Art Zufluchtsort, in ihm muss man sich vor fast keinen Konsequenzen schützen, der Traum ist anziehend und abstoßend zugleich. Es geht Nolan nicht nur um das Frage nach der eindeutig definierbaren Realität, sondern ebenso um die vorhandene Faszination Traum. Und er spielt mit ihr so, wie es den Zuschauer am meisten beeindrucken könnte. Er stellt ihn als interessante, aber auch gefährliche Nutzungsmöglichkeit hin und romantisiert ihn gewissermaßen. Bevor er sich der oft gestellten Frage annehmen kann, muss er ihn auch erklären – und somit eventuell auch ein Bild davon zeichnen.




Nolans „Inception“ - was ist das also? Ein Kritikerliebling gewiss, ein Medienspektakel ebenso, ein klar durch kalkuliertes Event von Film, das mit Bezügen zur Realitätsfrage aufwartet und Effekte aufzuweisen hat, die nicht nur bloß knallen, sondern auch kreativ sind. Auch ist „Inception“ Christopher Nolans neuester Entwicklungsstand, und man kann froh sein, dass es Regisseure gibt, die ihn wenigen Werken so extrem viel dazu lernen und ihr Wissen dann auch so konkret zu verpacken im Stande sind. Vielleicht ist „Inception“ eine Offenbarung, vielleicht nicht – was aber fest steht, ist: Nolan zeigt uns den Film von morgen. Willkommen im Blockbuster 2.0.  

Samstag, 16. Oktober 2010

Freunde fürs Leben



David Finchers Wandel ist abgeschlossen. Er braucht seinen Nihilismus nicht mehr, lebt von anderen Themen. Männer mit goldenen Kreditkarten wurden gegen nicht integrierte Computernerds ausgetauscht. Aber David Fincher ist nicht weich geworden. Nur, dass er sich weiterentwickelt hat. Man kann das in Fanforenqualität als Kommerzialisierung abkanzeln, weil man nichts besseres weiß. Man kann sich auch "The Social Network" ansehen. Finchers bestes Werk, dass er seit "Fight Club" gedreht hat. "Zodiac" hatte noch die Züge, die man in den 90-ern fincheresk nannte. Der Film über die Entstehung Facebooks muss kein Fincher sein. Man kann darin auch die Virtuosität eines anderen oder den genialen Debütfilm eines Neulings sehen. Umso erfreulicher also, dass trotz dieser Tatsache David Fincher als Regisseur aufgeführt wird. Dass sich der düstere, schwierige Analytiker mit einer solch erstaunlichen Präzision, abweichend von seinen anderen Filmen, an die Geschichte Facebooks herangewagt hat. Und wenn man in der Neudefinition des neben Paul Thomas Anderson und David Lynch sicherlich wichtigsten Regisseurs der Gegenwart doch noch den Hauch von "wahrem Fincher" erkennt, sollte man endgültig seinen Groll über die Wandlung des Lieblingsfilmemachers abgelegt haben.  

Angenommen hat er sich einer plakativ nützlichen, aber nur oberflächlich als Entstehungsgeschichte kolportierten Facebookhistorie. Basierend auf dem Roman "The Accidental Billionaires" von Ben Mezrich inszeniert Fincher das Studentenleben des 21. Jahrhunderts. Es gibt wilde Partys mit Drogen und knappen Outifts, hypnotisierenden Discokugeln und angesagter Electromusik ebenso wie die typische Studentenwohnung, die man zu viert, mit reichlich Bier und gigantischer Internetdominanz gesegnet, bewohnt. Zuckerberg will der ersten, muss aber der zweiten Gruppe angehören. Entweder man hat von vorneherein die Privilegien, in die Clubs gehen zu können, oder man muss sich dieses Recht aneignen. Irgendwie. Und da Zuckerberg kein Idiot ist, weiß er auch, wie er das macht - er benötigt etwas, das mit dem neuen Standard, dem Internet, funktioniert. 





Nach dem Aus seiner Beziehung folgt der Frust, auf diesen wiederum ein ordinärer Hassgesang auf die Ex-Freundin. Nebenbei erstellt Zuckerberg FaceMash: Eine Seite, auf der man jeweils zwei Frauen - an deren Bilder der Student durch für ihn simples Hacken gekommen ist - bewerten kann. An "Freunde" weiter verschickt, entwickelt sich ein Traffic, der das Netz fast zusammenbrechen lässt. Mehrere tausend Besucher weißt FaceMash auf - ob das Ganze jetzt mit dem Unrecht, in dem Zuckerberg dabei agierte, assoziiert wird, stört ihn weniger. Die kleine Berühmtheit hat er erlangt. Dadurch steigt er auf die nächste Stufe: Die Winklevoss-Brüder und ihr Freund Narendra sehen in Zuckerberg den passenden Programmierer für ihre Seite - für ein soziales Netzwerk. Zuckerberg nimmt das Angebot an und beginnt die Arbeit, weicht jedoch den Fragen der drei konsequent aus, bis er "seine" Seite veröffentlicht: the facebook. 

Die Mitgliederanzahl steigt enorm und das einstige Konzept artet aus. Zuckerberg gründet eine Firma, expandiert und bindet nach anfänglicher Unschlüssigkeit ebenso die Werbung mit ein. Inzwischen ist er weit über den Campus hinaus bekannt, zieht um und genießt sein Leben zwischen wilden Partys und anderen Berühmtheiten. Im Hintergrund wächst der Zorn: Man beschuldigt ihn des geistigen Ideendiebstahls und leitet einen Prozess gegen ihn ein. Sein Freund und Mitbegründer Eduardo Saverin entfernt sich zunehmend von Facebook. Der immer gewollte soziale Aufstieg hat begonnen - und mit ihm die Probleme. Denn unweigerlich verbunden mit seiner Emanzipation ist nicht nur die Abtrennung seines einst besten Freundes, sondern auch die für ihn nervigen Gerichtsverhandlungen. Zuckerberg hat sich verändert. Mit lässiger Arroganz nimmt er es hin, wie die für ihn scheinbar lächerlichen Anwälte Beweise vorlegen. Es ist egal, ob er Saverin einen Anteil zusprechen muss, ob die Winklevoss-Brüder eine Entschädigung bekommen: Er hat das, was er schon immer wollte. 




Und somit wird "The Social Network" zur Parabel über unsere Gesellschaft. Mark Zuckerberg ist nicht integriert worden, weil er etwas Interessantes geschaffen hat, sondern weil er jetzt berühmt ist. Weil er der sensationelle Erfinder des sensationellen Facebooks ist und ihn jeder kennenlernen will. Und wenn Facebook in der Kritik steht, verleiht es ihm nur noch mehr Mystik. Er ist kein Nerd, sondern einen Genie. Und er ist "CEO, bitch!". Findet sich selbst in Trendwelten mit Milliardenangeboten für die Übernahme Facebooks wieder. Zeichnen Fincher und Sorkin Zuckerberg grundlegend als gewisses Arschloch, das die Mittel zum Zweck heiligt, so ist es doch ihr großer Verdienst, zu zeigen, wie ihm dieser neue, von ihm lang ersehnte Kosmos suspekt, seltsam und fremd erscheint. In Jesse Eisenbergs oscarreifem Schauspiel entdeckt man nicht nur den Drang, über alles hinwegzusteigen, sondern auch einen Hauch Einsicht. Denn jetzt, ganz oben angekommen, da es nicht mehr viel Neues gibt, sieht er sich möglicherweise zurück.

Und das, was er betrachtet, ist virtuoses Kunstkino, so wie es Fincher schon immer inszeniert hat. Da treffen utopische Züge auf menschliche Abgründe und geschliffene Dialoge auf eindrucksvolle Schauspielerleistungen. "The Social Network" zeugt von intensiver Recherche, besitzt aber auch genügend eigene Kraft, um den Schritt vom informativen zum unterhaltenden Film zu schaffen. Dies gelingt Fincher eben durch die doppelte Verschachtelung: Er benutzt den Plot als Deckblatt, dahinter jedoch finden metaphorische Szenen, die mit dem Besten in Finchers gesamter Zeit in Hollywood mithalten können, en masse statt und beweisen wieder einmal des Regisseurs Genialität. Hierbei sei das brillante Ruderrennen angesprochen: In intensive Bilderfolgen und farblose Kamerafahrten gehüllt ist der verlorene Wettkampf als zweideutiger Fingerzeig zu verstehen, der den Tempoverlust der Winklevoss-Brüder hervorragend in Szene setzt - und dies auf fantastische Art und Weise tut. Des Weiteren erwähnenswert ist selbstverständlich der gigantische Soundtrack des Nine-Inch-Nails-Frontmanns Trent Reznor, der mit seinen tiefen Electroklängen ein passendes Motiv abliefert, in wenigen Szenen sogar zu Höchstform abliefert und es schafft, die Töne so unmittelbar mit den Bildern zu verbinden, dass sie wie ein Ganzes wirken.  




Neben Jesse Eisenberg laufen ebenso die anderen wichtigen Figuren groß auf: Andrew Garfield als abgekanzelter Freund, der langsam bemerkt, was mit ihm geschieht, Justin Timberlake als hyperventillierender Napster-Mitgründer Jean Parker und sogar Disney-Hassfigur Brenda Song als - wie sich später herausstellt - leicht geistesgestörte Freundin Saverins. Ein Cast, der so zielstrebig durch gut zwei Stunden Meisterwerk führt, und dies mit ungeheurer Leichtigkeit tut, dass man das Kino ganz befreit verlassen kann. Bevor man das Handy herausholt und los postet. 


Donnerstag, 14. Oktober 2010

Let's play!


Pixar Wunderland geht weiter - und blickt zurück: Über desorientierte Fische (und den vergleichsweise schwächsten Pixarfilm der letzten Dekade), die Haute Cuisine, nostalgische Müllroboter und den naiven, aber einfach wunderschönen Rentnereskapismus findet man endlich den wieder den Anschluss an die vielleicht kindgerechtesten Werke im Animationsuniversum der Kalifornier überhaupt. Denn nur Woody, Buzz und CO. wussten es von jeher, die Kinder in Scharen zu begeistern - da erscheint Remy, mag er noch so genial sein, einem 4-Jährigen möglicherweise etwas suspekt. Im Jahre 2010, also eigentlich viel zu spät für ein weiteres Sequel, würde man Pixar durchaus Geldgeilheit ankreiden, wäre da nicht diese Brillanz, die solche Aussagen schlichtweg unterdrückt. Vielmehr kann man die jetzige Rückbesinnung als wahre Haustreue verstehen: Ein würdiger Abschluss der Spielzeugfilmreihe musste her, und man durfte die Fans auch nicht enttäuschen. Denn jene sind jetzt keine Kindergartenbesucher mehr, sondern Erwachsene, die mitten im Leben stehen, mit Cowboyfiguren und futuristischen Astronauten eigentlich eher wenig am Hut haben - diese erneut begeistern zu können, ist die große Stärke von "Toy Story 3".

Auch sonst konnten eigentlich nur Fehler gemacht werden: Entweder man entfernte sich vom Stil, kochte die Vorgängerstory nur warm auf, wurde zu kindlich oder keinem Kind gerecht - dass der dritte Teil genauso gut der erste hätte sein können, wurde vorher nicht erwartet. Auch der sonstige "Schnickschnack", wie man ihn salopp bezeichnen könnte, ist absolut ernst gemeint. Die 3-D-Version ist die beste, die man seit Camerons "Avatar" gesehen hat, und die deutschen Antikomödianten rund um Herbig machen ihre Sache ausnahmsweise mal bestens. Ebenso ist "Toy Story 3" State of the Art pur: So weich waren die Animation selten zuvor, Licht- und Schatteneffekte sind genial und sowieso alles an die Art der Vorgänger angepasst. Aber: Dass Pixar mit tricktechnischer Perfektion an den dritten Teil herangehen würde, stand vorher eigentlich schon längst fest. Vielmehr wollte man eine ausgetüftelte Story, gleich und anders, von beidem ein bisschen etwas. Weil das Drumherum schon bekannt war, sollte wie nie davor auf den Plot geachtet werden.


Dieser jedoch erscheint wie eine Offenbarung: Andy geht auf das College, die Spielzeuge sehen ihre Zukunft düster, haben Angst und werden durch den Zufall nach Sunnyside geschleppt, das anfangs wie das Paradies auf Erden erscheint. Spielende, fröhliche Kinder, wohin das Auge reicht, eine Wohlfühlatmosphäre und ein äußerst netter Empfang - die Toys kommen sich wie im Siebten Himmel vor. Dass Sunnyside nicht das ist, was der Name vorgibt, stellt man bald fest. Lotso, der Anführer, ist kein Knuddel-, sondern ein Diktatorbär und seine Anhänger keine freundlichen Kinderlieblinge, sondern düstere Handlanger des Chefs. Und den Spielzeugen um Woody wird es nicht erlaubt, den Ort, der sich inzwischen als Gefängnis entpuppt hat, wieder zu verlassen, Buzz sogar manipuliert, weil umgepolt. Denn jetzt müssen die Neuen als Futter herhalten, werden zerlegt und durch die Gegend geschleudert. Der Ausbruchsplan ist also bald geschmiedet und der eigentlich witzigste Teil des gesamten Films kann beginnen.

Natürlich bedient sich "Toy Story 3" dabei des kindlichen Humors: Es fallen zusammengepappte Kartoffeln wieder auseinander, geben lustige Sprüche von sich und auch sonst ist für den jüngeren Zuschauer wieder allerlei an Klamauk dabei. Die der Kindheit entwachsenen Betrachter jedoch können sich an einer brillanten Alcatrazhommage (Die Flucht ist genial inszeniert) erfreuen und zudem über die charakterliche Tiefe staunen, die den Figuren, insbesondere Lotoso - der dadurch eigentlich bemitleidet werden muss -, einverleibt worden ist. Ein Drehbuch, das aus jeder Szene eine besondere macht, ist inzwischen zum Pixarstandard geworden, die Technik allererste Sahne und der Vorfilm "Day and Night" vielleicht der kreativste, den Pixar je gezeigt hat. Und der Abschluss schlichtweg umwerfend: Mit dem krönenden Ende des Films beenden die Kalifornier ihre bekannteste Reihe, unterhalten Groß und Klein bestens und gestehen sich am Ende das Nicht-loslassen-können ein, das jeden befällt, wenn er diese Szene sieht. Wenn die Spielzeuge nach dem emotionalsten Moment im ganzen Film schließlich abgegeben werden, wünscht man sich zurück in die unbeschwerte Kindheit. Um mit Cowboy und Astronaut seine ganz eigene "Toy Story" basteln zu können.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Vorschau: "The Social Network"



Ja, genau. Fincher goes Mainstream und ein Film über Facebooks Entstehungsgeschichte - wie langweilig ist das denn? Kolportage ist die eine Sache. Die andere, dass Fincher seinen Plot eigentlich nur benutzt, um eine ganz andere, tiefgründigere Studie abzuliefern. "The Social Network" ist eben doch ein Fincher: der soziale Aufstieg über die Zusammenführung der anderen, der aufkeimende Egomane nach der Zuversicht, akzeptiert worden zu sein, Freundschafts- und Hassgeschichte, die Frage nach der Integration eines Außenseiters in die Gesellschaft - Facebook bleibt lediglich das Deckblatt. Mit Jesse Eisenberg, der als Hollywoods neues Wunderkind gerade eben den Aufstieg durch macht, der Zuckerberg erst verwehrt blieb, bestens besetzt, ein Paradebeispiel für unsere heutige Gesellschaft. Dass Fincher zugunsten der Geschichte seinen düsteren Look außen vor lässt - keine Katastrophe. Sein neuer Film lebt sowieso von einer anderen Attitüde, als es "Se7en", "Fight Club" und "Zodiac" tun, besticht durch virtuose Stringenz und ist dadurch schlichtweg das bisherige Jahreshighlight.

Sonntag, 10. Oktober 2010

Die Ghost Verschwörung



Zwischen den Dünen und dem Meer, den seltsamen Touristenorten und der trägen Fährstation, steht der Rückzugsort von Adam Lang (Pierce Brosnan), dem ehemaligen britischen Premierminister. Eingekleidet in noble Fassaden ist der Ex-Politiker gefangen, denn gegen ihn wird ermittelt, und er verschanzt sich hier, weil er hofft, dort nicht von seinen Anklägern in Gewahrsam genommen werden zu können. Modern sieht es aus, das Fluchtgebäude, es ist hochtechnisiert und verbreitet eine angenehme Wohlfühlatmosphäre, im Gegensatz zum schroffen Klima außerhalb der schützenden Wände. Möglicherweise würde er es mögen, ja, sogar lieben, hierher zu kommen, wären da nicht diese besonderen Umstände: Eines Kriegsverbrechens beschuldigt ist er nach Martha's Vineyard gezogen, um dem Internationalen Gerichtshof und seinem Einflussbereich, in den die USA und somit die Insel eben nicht fallen, zu entgehen.

Lang versucht vielleicht ein wenig, die unangenehme Situation als nichtig abzutun, oder zumindest, sie kleiner zu reden, aber doch weiß er, dass seine Flucht in der Öffentlichkeit als letztes Dahinschwinden der einstigen Stärke dieses Mannes gesehen wird. Die Medien, schon längst angereist, stürzen sich beflissen auf das Thema, und die Anhänger diverser Friedensgruppen verurteilen Lang, beschimpfen ihn.Lang, der gerade einen zweiten Ghostwriter (Ewan McGregor) engagiert hat, nachdem der erste unter mysteriösen, als „Unfall“ deklarierten Umständen ums Leben gekommen ist, kann diese negative Presse nicht gebrauchen. Schließlich wird bereits spekuliert und hoch gepokert, was seine Memoiren betrifft, die in Kürze veröffentlicht werden sollen. Und in diese heikle Situation kommt ein weiterer, vom neuen Ghostwriter begründeter Verdacht: dass hinter Langs Politik viel mehr stecken könnte als die einfach gestrickte Aufsteigerstory eines Mannes, der mit Herz zur Politik gegangen sein soll.




Roman Polanskis neuestes Werk war von Anfang an ein heikles Projekt: Der immer noch andauernde Prozess um den polnischen Regisseur sollte die Dreharbeiten, vor allem die Postproduktionsphase, immens erschweren. Der Vergewaltigungsfall, welcher Polanski seit mehreren Jahrzehnten verfolgt, war weiterhin nicht abgeschlossen und man durfte gespannt sein, wie Polanski mit seinem Dilemma umgehen würde. Die Verfilmung von Robert Harris' Beststeller sollte von allem etwas werden: Dynamischer, spannender Politthriller mit teilweise autobiographischen Bezügen, ein eleganter Seitenhieb auf aktuelle Geschehnisse und nicht zuletzt ein wenig Arthaus, wie man es jedem der Werke Polanskis zuschreiben kann. Folgt „The Ghost Writer“ schließlich doch stark konventionellen Zügen und zeigt ein bekanntes Muster – Opfer wusste scheinbar zu viel, anderer bemerkt das, recherchiert wiederum, begibt sich ebenfalls in Gefahr -, so hat der Film doch stets eine eigene Note vorzuweisen, die ihn weit über den Genredurchschnitt heben.

Polanskis Romanadaption ist jedoch vor allem in ihrer Visualisierung einzigartig geworden. Wie der Regisseur die anziehende, aber dennoch eiskalte Atmosphäre der Insel einfängt, und in hypnotischen Kamerafahrten die aufkeimenden Ängste des neuen Ghostwriters aufzeigt, hat immer noch nichts von seiner Klasse verloren, ist seit Dekaden hochaktuell und insgesamt als eine Hommage an den Meister der Suspense, Alfred Hitchcock, zu verstehen. Martha's Vineyard dient als wunderschöner, elegisch ausgeleuchteter Hauptspielort und definiert sich vor allem über die schroffe Küste, die windige Atmosphäre und die sterile Reinheit des bunkerartigen Hauses Langs. Die Grundtöne grau und blau harmonieren in einem aufeinander abgestimmten Wechselspiel, evozieren ein Gefühl des Unbehagens, welches mit der anziehenden Story nach und nach gesteigert, auf die Spitze getrieben wird. Allein die eher ruhige, aber dafür umso intensivere Verfolgungsjagd auf dem Festland ist eine Tour de Force für sich, die den Zuschauer in den Sessel drückt und ihn vor der inszenatorischen Klasse Polanskis applaudieren lässt. „The Ghost Writer“ ist ein optisches Highlight – verklemmt, abstoßend, leer und summa summarum schlichtweg der vielleicht beste Schauplatz, den man für die immer eindringlicher werdende Story rund um Macht, Gier, Verrat und Betrug hätte finden können.




Im Allgemeinen ist die Handlung „The Ghost Writer“ aber schon bekannt, weil oft bereits benutzt, die ersten Schritte ebenso kein Neuland, mit der Fortführung aber ein wichtiger Schritt in Richtung Selbstdefinition. Polanski gelingt es auf eindrucksvolle Art und Weise, dem klassischen Prinzip zu folgen – und am Ende auch den großen Twist, die große Überraschung zu bringen -, dabei jedoch seinen eigenen Weg zu gehen und mit seinem Stil die Verfilmung zu prägen, ihr seinen Stempel aufzudrücken und damit dem Fehler zu entgehen, sich grundlegend auf Vorgegebenes zu verlassen. Denn der Thriller baut nicht nur auf geniale Visualisierung, sondern schafft es ebenso, mit nicht wirklich spärlich gesäten Spannungsmomenten den Zuschauer in seinen Bann zu ziehen. Die in dieser Richtung beste Szene ist die Flucht des neuen Ghostwriters vor seinen potenziellen Mördern auf der Fähre, welche ohne große Effekte auskommt und doch den gewünschten Effekt erzielt: Mitfiebern, durchatmen, staunen. Polanski hat es nicht verlernt, seine Werke mit einfachsten Mitteln zum kleinen großen Thrillerstück aufzubauen, das erst nach und nach zeigt, wie viel Talent in ihm steckt.

„The Ghost Writer“ besteht aber vor allem aus der Identifikation des Regisseurs mit seinem eigenen Leben: in einem anderen Land versteckt auf der Flucht - Adam Lang teilt sein Schicksal mit dem Polanskis. Dass Polanski wiederum leise Medienkritik äußern würde, stand gewissermaßen von vorne herein fest, betrachtet man einmal die Komplexität des wahren Falls, überrascht eindeutig, dass er dies aber auf so subtile Art und Weise in den Film integriert. Hinter dem nach innen gezogenen Schauspiel Brosnans, hinter dem lächerlichen, aufgesetzten Grinsen ist der kleine Fingerdeut auf die Sensationsgeilheit der Presse. Wenn auch Polanski alles tut, um „seinen“ Teil möglichst nicht aufzudrängen, so erkennt man ihn neben dem teilweise schablonenhaften, aber stets hervorragend gespielten Thrillerpuzzle doch deutlich.Zum absoluten Must-See in diesem Jahr avanciert „The Ghost Writer“ aber erst durch die – in der Special Edition beiliegende oder separat erhältliche –  Dokumentation zum Vergewaltigungsfall Polanskis, bei dem man sich um eine hohe Authentizität und Objektivität bemüht, dies in treffsicheren Bildern und Aussagen auch schafft. „The Ghost Writer“ ist ein exzellenter Film mit gleichen Schwächen, der vielleicht eine filmische Neudefinition des Regisseurs einläutet und alles in allem eins ist - „Wanted and Desired“.   

Freitag, 8. Oktober 2010

Lese-Stöckchen







Gefunden und gesucht: das Lese-Stöckchen. 20 Fragen rund ums Buch, aufgegriffen bei fincher. Und weitergeworfen...


1. Was liest Du gerade?

"Freedom". Was soll man denn momentan sonst lesen?

2. Welches Buch hat Dich zuletzt stark beeindruckt?


"Lush Life". 

3. Sammelst Du irgendetwas?

Bücher.

4. Schreibst Du Widmungen in Bücher?

Sollte ich etwa?

5. Schreibst Du Deinen Namen in Deine Bücher?

Nein.

6. Welches Buch hast Du doppelt?

"Heimatmuseum" von Siegfried Lenz. Alte und neue Ausgabe. 

7. Von wem würdest Du Dir gern was vorlesen lassen?

Richard Price.

8. Sitzt Du im Kino lieber am Rand oder in der Mitte?

Mitte. 

9. Welche ist Deine liebste Romanfigur?

Die Bären bei Irving. Allesamt. 

10. Nach welchem System ordnest Du Deine Bücher daheim?

Nach keinem.

11. Lesen: Vor dem ins Bett gehen oder nach dem Aufstehen?

Immer, wenn's geht. 

12. Welches Buch würdest Du Deinem größten Feind schenken?

"Feuchtgebiete". 

13. Hardcover oder Paperback?

Hardcover. 

14. Zeitung aus Papier oder im Netz?

Beides. Das erste grundlegend schöner, letzteres schneller und flexibler.  

15. Von welchem Buch bist Du zum ersten Mal so richtig gefesselt worden?

"Emil und die Detektive".

16. Deine liebste Literaturverfilmung?

"True Blood".

17. Tägliche oder wöchentliche Pflichtlektüre?

SZ, Zeit, Spiegel.

18. Bevorzugte Urlaubslektüre?

"Atonement".

19. Bester Romantitel ever?


Schließe mich fincher an: "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins". 

20. Welches Buch sollte jeder Mensch gelesen haben?


"Ulysses".