Der siebenjährige Cedric Errol, ein sympathischer und intelligenter Junge aus Amerika, soll zu seinem englischen Aristokratengroßvater von emotionslosem Charakter ziehen und schafft es auch, in das kalte Leben des alten Herren wieder einen Sinn zu bringen – eine Prämisse, die so schlicht und doch so genial ist. „Little Lord Fauntleroy“, die Verfilmung des bekannten Kinderbuchklassikers von Frances Hogson Burnett, schafft es auch, die simple Ausgangsstellung des Romans bestens zu transportieren. Die Geschichte vom einfachen Jungen, der in die edlen, aber ungemein abstoßenden Gemächer der englischen Grafenschaften geführt wird, fängt Regisseur Jack Gold in seiner ganzen Faszination so auf, wie sie das Buch ebenfalls besitzt. In großartigen Kamerafahrten schafft es der Film, die psychische Leere – die weiten, kahlen Räume können durchaus als Metapher und stilbildendes Element gewertet werden -, die Atmosphäre auf Schloss Dorincourt perfekt wiederzugeben und den Zuschauer somit bindend zu emotionalisieren, um den Wandel des Großvaters – der übrigens keinen Namen besitzt, was seine Identitätslosigkeit nur noch steigert – gerührt mitzuerleben und mitzufühlen, wie es nur sehr wenige außerordentliche Filme je vermocht haben.
Dabei stehen die Zeichen für den außenstehenden Betrachter mehr als schlecht: Schließlich verordnet der Earl von Dorincourt gleich zu Beginn, dass die Mutter, eine Amerikanerin, wie sie der Großvater überhaupt nicht leiden kann, nicht auf das Schloss kommen und lediglich, wann immer Cedric es wünscht, von ihrem Kind Besuch zu erhalten. Der Earl zeigt sich anfangs ein wenig enttäuscht von dem Jungen, der als das komplette Gegenteil zu ihm gesehen werden kann und auch muss: Der frische Wind, den der liebenswerte Junge mit Schwung hineinweht, scheint erst an der kalten und ungemütlichen Wand des Großvaters abzuprallen. Denn der Earls von Dorincourt ist ein verbitterter alter Mann, der nicht gerne auf sein Leben zurück sieht und sich immer mehr in seinem riesigen Schloss verbarrikadiert, abgetrennt von der Hunger und Qualen leidenden Außenwelt. Seine Untertanen erscheinen ihm nutzlos, und er verweigert jegliche Hilfe, die sich die armen Pächter im Dorf erhoffen. So vegetiert er also vor sich hin, bis Cedric eines Tages eintrifft und sich – von der Mutter und den anderen nicht über den eigentlichen Charakter des Großvaters informiert – von dem Earl und seiner vermeintlichen Güte begeistert zeigt. Die Dienerschaft sieht in dem jungen hingegen nicht nur ein wundervolles Kind, sondern auch eine Chance, den knaurigen und kalten Herren endlich zu „knacken“, das heißt, ihn innerlich zu erwärmen.
Und wie es die Geschichte will, scheint dies auch zu gelingen. Der Earl zeigt sich dem jungen Cedric – oder jetzt: Lord Fauntleroy – immer mehr zugeneigt, unternimmt mit seinem amerikanischen Enkelkind Touren durch die wunderschöne Landschaft und gibt sich auch gegenüber der anfangs vernachlässigten und gehassten Bevölkerung von Dorincourt zumindest einen kleinen Spalt offen, als er ein besonders schlimm zugerichtetes und absolut verarmtes Stück Land neu in Stand setzen lässt. Mit der Zeit öffnet sich der alte Earl von Dorincourt, der sogar richtig um seinen Enkel kämpft, als dessen Herrschaftsanspruch durch einen weiteren Bewerber in Frage gestellt wird und den alten strengen Blick gegen das neue nette Lächeln tauscht. Das alles ist zwar wundervoll in Szene gesetzt, und auch größtenteils brillant gespielt, ist aber eben so kitschig wie diese Formulierung. „Little Lord Fauntleroy“ zieht den Schweif der Moral hinter sich her und benutzt diesen auch ausgesprochen gut, um nicht nur eine Geschichte von dem herzerwärmenden Kindescharakter an sich zu schreiben, sondern auch, um ein nicht immer positives Bild Englands im 19. Jahrhundert zu zeichnen und dieses mit allerlei prunkvollen Bildern und Musik auszustatten, aber der Film versinkt ebenso immer wieder im scheinbar unumgänglichen Kitsch.
Auf Cedrics ständige Ausrufe folgt eben immer das Lächeln, der „Hach, wie toll, der Knabe“-Gedanke – obwohl der Film eigentlich auch ein ehrliches Bild der Aristokratie zeigen will, verfällt er immer wieder der angesprochenen, allumfassenden Glückseligkeit. Doch dabei muss man sich entscheiden können, was man sehen will: Eine moralisch einwandfreie Liebeserklärung an das Kind, unterlegt mit humoristischen Momenten, garniert mit bezaubernden Dauerlächeln, oder doch das ambitionierte Drama, dass die kalte Seele eines Einsamen porträtiert und offenbart, was ein so allein in der Dunkelheit umherirrender Charakter anzurichten fähig ist. „Little Lord Fauntleroy“ ist aber sicher ersteres, weshalb der Kitsch auch halbwegs erträglich bleibt – und deshalb die anderen starken Aspekte des Films ans Licht hervorholt. Da wären zum Beispiel die ausgezeichneten Schauspieler, angefangen bei Rick Schroeder, der den frohen und stets gut aufgelegten Cedric gibt und dabei überzeugen kann, über den von Alec Guinness genial gespielten Earl von Dorincourt und die gesamte Dienerschaft, die meistens den Humor in den Film bringt und dabei die Rolle der Sympathieträger einnimmt, oder aber die großartige Kameraführung, die durch geschickte Einstellungen einen entfernten Blick auf das Geschehen bietet, ohne dabei je die persönliche und private Komponente des Films zu vernachlässigen.
Auch die musikalische Untermalung ist hierbei nicht zu vergessen, bildet sie doch durch ihre gelungen ausgewählten Stücke einen emotionalen Grundboden von „Little Lord Fauntleroy“ und trägt ihn dadurch mit. Fasst man also all diese Teile auf, so steht am Ende ein überaus guter britischer Klassiker, eine schöne Romanadaption, die allerdings eher im metaphorischen Sinne besticht. Ein Gedanke bildlich umgesetzt ist das quasi, und nicht die Schilderung eines einzelnen Ereignisses – dafür ist „Little Lord Fauntleroy“ doch zu kitschig. Dennoch funktioniert das Werk als immer wieder gern gesehener Geschichtsfilm, der keine Sekunde zu lang ist.
Ich erinnere mich an die erste Sichtung. Es war zur Weihnachtszeit, und die Verfilmung ist natürlich auch als verkappter "Weihnachtsfilm" zu sehen, weshalb ihm diverse Süssigkeiten vergeben werden müssen. Auf jeden Fall liebte ich ihn augenblicklich von Herzen und erfreue mich heute noch an ihm. - Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob es sich um eine BBC-Produktion oder einen Kinofilm handelt?
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